Die Endlichkeit des Lichts
Bucht unter
Salamanderhaufen, begraben lag. Nicht im Traum wäre er darauf verfallen,
dieselbe Aufrichtigkeit von ihr zu fordern, die sie von ihm verlangte.
Kein Wort über Doris, schärfte er sich
ein, als er das Badezimmer verließ. Niemand wußte besser als er, wie
empfindlich sie war, und war es nicht immer so gewesen, daß Menschen an
Empfindlichkeiten starben? Vielleicht reichte sogar ein Name, um Vera Albert so
zu verletzen, daß nichts von ihr übrigblieb. Ein einziges großes Schütteln,
dann ein Knall, und nur eine Staubwolke würde an ihr Dasein erinnern. Doris war
zu blond, zu schlank, zu kapital, als daß Vera Doriswörter, Dorisgeschichten
oder auch nur einen einzigen Dorisgedanken hätte ertragen können.
Vor dem Schlafzimmer faßte er sich und
dachte an ihr Abkommen, jenen ersten Satz, der nach dem ersten Koitus fiel, ein
Vorschlaghammer. Laß uns ehrlich sein, sagte sie. Stille. Alakars Blick
schweifte über die Schaufensterpuppe neben dem Bett, die Vera vor dem Akt zu
ihnen ins Zimmer zerrte, damit die arme alte Vernapuppe da draußen nicht allein
war. Das behauptete sie wenigstens, wenn er auch davon ausging, daß Vera sich
an Zuschauern ergötzte. Beziehungen scheitern an der Lüge, fügte sie ganz
selbstverständlich hinzu und sah der Vernapuppe in die weitgeöffneten Augen.
Wirklich, sagte Vera, ich kann mit der Wahrheit leben, Alkalar. Alles besser,
als zu fühlen, daß du lügst, und mich selbst für paranoid zu halten.
Unsinnigerweise sahen ihre Augen puppenhafter als die Puppenaugen aus,
entgeistert hatte Alakar genickt, und schon war das Abkommen besiegelt.
Sie fragte, und er hatte zu antworten,
soweit war die Sache gediehen. In den paar Tagen ihres Getues, wie Vera
die Affäre scherzhaft nannte, hatte er so viele Antworten gegeben, daß der Raum
vor Bekenntnissen bebte. Er sagte, daß er das Wort Getue als Angriff auf
den guten Geschmack empfinde. Daß sie in dem glänzenden Kleid unappetitlich
aussehe, das sie sich zu Ehren ihrer gemeinsamen Nächte zugelegt hatte. Daß er Blondinen
liebe. Das war ihm am schwersten gefallen. Ich liebe Blondinen. Dafür schäme
ich mich. Würdevoll hörte sie zu, als er über schmale Fesseln fabulierte, über
Wellenmuster sonnengebleichten Nackenhaars, das flaumig war wie die Fiederchen
der Farne unter seinen Rotbuchen. Veras Nacken hingegen sah wie ein
Kriegsgebiet aus.
Unschön, würgte er wahrheitsgemäß
hervor, als sie ihn beinah im selben Moment danach fragte. Aber andererseits
sind deine kleinen Pusteln in gewisser Weise sympathisch. An dem Tag trug die
Vernapuppe das limettenfarbene Kostüm aus der letzten Show, das Vera ihr nach
dem Siegervideo genäht hatte, seinem Siegervideo, das ihr Siegervideo hätte
sein sollen. Unbeirrt streichelte sie seinen Arm, ein Kreiseln und Taumeln, das
die Wellenbewegungen in seinem Magen verstärkte. Je mehr das Zimmer schaukelte,
desto vollständiger fühlte er sich.
»Al-kalar!« Endlich öffnete er die
Schlafzimmertür. Ihr Arm reckte sich ihm freundlich entgegen. »Wer war das
denn?«
»Was?«
»Der Anruf, Al-kalar! Da hat doch
jemand angerufen?«
»Nein.« Es war die Wahrheit.
Genaugenommen hatte gerade niemand angerufen, genaugenommen bezog sich Veras
Frage auf die letzten fünf Minuten.
»Aber ich habe gehört, daß da jemand
angerufen hat!«
»Da hast du falsch gehört!«
»Al-kalar!«
»Jetzt hat niemand angerufen. Es hat
jemand vor kurzem
angerufen.«
»Wer?«
»Ach«, sagte er, und dachte es auch:
Ach, ach, ach.
»Wer denn?«
»Eine... Bekannte.« Es war nicht
gelogen. Doris Knöchel war ihm bekannt.
»Wie bekannt denn?«
»Ziemlich.«
»Aha.«
Ein Zug fuhr an, bremste, Gepäckstücke
sausten wie Geschosse durch den Gang, Menschen stolperten, Organe federten
gegeneinander und fuhren, von zähen Muskelfasern gehalten, an ihren Platz
zurück. Nach dem Aufprall würden sie sich verdicken, verkalken, vom Schock
einer Sekunde verletzt, und zu einem winzigen, dauerhaften Schmerz werden. In
alle Ewigkeit. Alakar schlüpfte unter die Bettdecke aus geblümtem Flanell, und
Vera rollte sich zu ihm herum. Ihre rauhe Haut an seiner Hüfte knisterte.
»Hallo-o!« sagte sie neckisch, bevor
sie mit ungezielten Bewegungen sein heiles Bein untersuchte. Die Gedichte, die
er an diesem Abend im Radio gelesen hatte, überkamen ihn wie die Druckwelle
einer Detonation. Zeitvertreib, Narkotikum, Liebe, Eifer, Selbstlosigkeit
und Selbstentäußerung. Veras Hand strich über Alakars Bein, das Licht
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