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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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der Therapie gelernt.
    »Aber tuckert denn ein Kühlschrank
nicht auch so«, gab sie sich selbst zu bedenken. »Auch ohne daß man verzweifelt
ist? Denn eigentlich ist es doch ein ganz neutrales Tuckern.« Niemand
antwortete ihr, und deshalb ahmte Verna gekonnt das honigsüße Timbre von Karlas
Stimme nach, das sie hinlänglich studiert hatte.
    »Sicher, Verna, Liebe, wer würde denn
Ihre Wahrnehmung in Frage stellen? Natürlich tuckern Kühlschränke, sogar oft,
vor allem, wenn man sie billig in einem Ramschladen kauft.«
    Mit dem Kopf über der Gemüseschale
malte Verna sich aus, wie sie die Bügel von Karlas silberner Halbbrille langsam
verbog, ohne Kraftaufwand, nur durch die Energie ihrer Gedanken.
    »Das liebe ich an Therapeuten«, sagte
sie zu dem Gurkenglas, und in der Enge des Kühlschranks klang ihre Stimme
fremd, fast gefährlich. Lärm schmerzte sie neuerdings, und zwar in jeder Form.
Stiche schossen hinter den Augäpfeln hoch und vertrieben die Hummeln, die sonst
den Nelkenwurz aussaugten. Jemand warf Steine in den Tümpel, ein
erbarmungsloses Krachen unter Vernas Scheitel. Baihui, sagte Izzy genüßlich,
das Himmelstor, mit dem du Shen aufsaugst: natürliche Intelligenz, kreative
Prozesse. Das heißt, nicht du natürlich, Süße, du saugst gar nichts auf, außer
Rosine-Mandel-Schokolade. Du solltest sie wirklich endlich im Kühlschrank
aufbewahren.
    Konnte es sein, daß Izzy Gefühle haßte?
Oder nur ihre Gefühle? Berauschende, geistige Gifte nannte er sie, oder das
Bittere und das Süße. Unfähig, sich normal auszudrücken, bediente er sich
ständig der Metaphern aus den weißen Bänden im Regal. Ab und zu hatte Verna
sich gefragt, ob er etwa seine Bücher auswendig lernte. Wenigstens, was ihre
Gefühle anging, war er sich aber mit ihrer Mutter einig. Sie hat sich nicht im
Griff. Sie ist. Sie war nie. Sie kann. Nur daß ihre Mutter nicht von Shen,
sondern allenfalls von mangelnder Willenskraft gesprochen hatte. Vernas Kopf
schlug gegen die Auffangschale, in der sich trübes Wasser sammelte. Tauwasser,
Brackwasser, Taufwasser.
    Ich liebe, sagte sie laut, die Frage
ist nur, wen. Amo, amas, amat, nein, nicht amat, er liebte niemanden,
und sie hatte wenigstens Snodgrass geliebt. Seine nasse Hundenase an ihrem
Oberschenkel, die sie in den schlimmsten Zeiten perversen, halberotischen
Höhepunkten entgegentrieb. Sein schwarzweißer Schwanzrest peitschte dankbar das
PVC, wenn sie die Futterdose aus dem Kühlschrank holte. Anfangs wollte Verna
ihn Cupido nennen, weil Izzy ihn kupieren ließ. Ein Witz, über den er nicht
lachte. Ob sie Snodgrass auch geliebt hätte, wäre Izzy ein fanatischer
Hundehasser gewesen, ein brutaler Typ, der noch kleineren Geschöpfen die
Schwänze abschneiden ließ? Nie mochte er von seiner Kindheit erzählen, die
Manasses Kindheit geglichen haben mußte. Sie stellte sich grölende Gestalten
vor, dampfende Mäntel, die über Kohleöfen trockneten, Wirsingsuppe oder
Labskaus. Der eine Berg, den man nicht ersteigt, niemals. Das Jenseits. Von
Klorollen-igelchen mochte er nichts hören. Denn seine Welt war weiß.
    Aber heiraten würde ich nicht! sagte
Izzy einmal. Der Truthahn gab Gase ab, moschusartige Gase, die sie so weit
anästhesieren würden, daß sich ihre Gedanken wie winzige brave Soldaten — stillgestanden!
salutiert! — um einen Punkt versammeln und danach gemeinsam Selbstmord begehen
konnten. Aber heiraten würde ich nicht. Das war in einer angenehmen Juninacht,
als ein weißer Mond, groß wie ein Riesenrad, sich am Osthimmel drehte. Sie
lagen in Liegestühlen auf ihrer leuchtendblau gestrichenen Terrasse, ohne sich
zu streiten. Korallenblau nannte er die Farbe, er mochte knirschende Bilder,
weil er in knirschenden Welten lebte. Sie hatte es aufzuschreiben versucht,
aber ihre Bilder blieben flüssig und gestaltlos. Izzys Zeigefinger steckte in
ihrem Ohr, obwohl sie das nicht mochte, er trank langsamer als sie, genüßlich,
und plötzlich erinnerte sie sich. Es war nichts, was er so dahingesagt hatte,
es war ein Zitat. Sylvia Plath: Aber heiraten würde ich nicht. Die Glasglocke,
letzte Seite, achte Zeile, es kam nach der Stelle mit dem schwarzen, zwei Meter
tiefen Loch im harten Boden, die sie immer wieder zu Tränen rührte.
    Es müßte eine Feier geben, wenn man
zweimal geboren wurde! hatte Verna begeistert zitiert, als sie begriff — Plaths
nächsten Satz als Antwort. Ihre Stimme zerschmetterte Izzys Lächeln, das wie
eine Hand auf ihr lag. Er lauschte, nur einen

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