Die Endlichkeit des Lichts
— beschreiben läßt es sich nicht — wie Auslöschung.
Alakar knetete seinen verspannten
Nacken und lockerte die Schultern. Plötzlich begann sein Handy zu lärmen. Schon
fliegen wieder die Zugvögel dein Monogramm in den Himmel. Er hielt den Atem an,
aber als er Doris Knöchels kippelnden Tonfall erkannte, hätte er am liebsten
aufgelegt. Erst klang sie verhuscht wie ein Tier, das unter einem Baumstamm
verschwindet, aber dann festigte sich ihre Stimme, und Doris kam zur Sache. Wie
ein Ungetüm drängte sich ihr Sopran zwischen ihn und die zweite Haut, die ihn
immer noch umhüllte. Seine Gedichte zogen sich zusammen und krochen in die
Wände zurück.
»Als ich dich neulich im Radio hörte«,
sagte Doris, »diese Verse, die haben etwas in mir — ausgelöst]« Er konnte sich
lebhaft vorstellen, was. Als hätten sie sich erst ein paar Stunden zuvor
voneinander verabschiedet, redete sie ohne Punkt und Komma, und deshalb
verabredete er sich schließlich doch mit ihr. Bevor er es zurücknehmen konnte,
rief sie eilig »Ciao-ciao«, und Alakar starrte einen Augenblick entgeistert in
den Hörer. Das Freizeichen ertönte, als er noch grübelte, ob sie ihn
tatsächlich im Verlauf des Gesprächs gefragt hatte: Und? Mit wem schläfst du
denn jetzt?
Er sah Doris Knöchel vor sich, wie sie
in derselben Sekunde an ihrem Schreibtisch die Faust ballte, Sieg. Dies waren
die schönen Metaphern des Kampfes. Dabei wollte er alles andere, als daß sie
wieder in einem Bett landeten. Diesmal benötigte er Doris nicht als Körper,
sondern als Metapher, einmal sollte sie ihn um etwas bitten. Das wollte er,
sie, die ihn um seinen Körper bat, damit er nein sagen konnte. Er wollte
anwenden, was er bei Vera Albert gelernt hatte, die Vorzüge der wirklichen
Wahrheit, in einem Augenblick, in dem die Welt für die Wahrheit offen war. Ich
will sie nur bitten hören.
Erschöpft legte Alakar das Gesicht in
seine Hände. Natürlich würde er ihrer Bitte nachgeben, wenn sie nur innig genug
klang. Draußen zankten die Zimmermädchen immer lauter. Demnach würde er sich
eine Geliebte zulegen, eine zweite Geliebte. Ein Kebsweib, schrieb er auf
seinen Zettel, dachte an Vera Albert und schämte sich. Ein Yang für das Yin,
ein Plus für das Minus, Ausgleich schaffen, wo Ungleichgewicht herrschte. Gott
mußte handeln, wenn die Götter versagten. Auf der Couch kniend, starrte er aus
dem Fenster. In der Scheibe des gegenüberliegenden Zimmers spiegelte sich eine
alte Frau. Tag für Tag verging, Blatt für Blatt riß er vom Spiralblock und
ordnete die Seiten zu einem dünnen Haufen. Keine Frage, dachte Alakar Macody,
ich muß mein Leben ändern.
Er mußte Kavos Angebot nutzen, er mußte
seine Gedichte lesen. Menschen hatten Rechte, keiner verlangte, daß er ein
Leben lang Eliot vortrug. Niemand verlangte, daß er einer einzigen Frau treu
war, Eliot nicht und noch weniger Kavo, der Eliot wahrscheinlich für einen
Stummfilmschauspieler mit schwarzen Lippen hielt. Bögen knisterten in seinen
Fingern. An den Orten der Notwendigkeit, las er, ist die Hoffnung noch immer
abhanden gekommen. Denn dazu war sie gemacht. Das würde er im Fernsehen lesen,
sich würde er lesen, und Verna Albrecht würde sich im Grab umdrehen. Denn dazu
war sie gemacht. Der Kugelschreiber malte ein Fragezeichen. Worte, die kleine
Ordnung. Dinge. Ist die Hoffnung noch immer abhanden gekommen, schrieb der
Kugelschreiber. Wieder und wieder. Denn dazu war sie gemacht.
»Paß mal auf, Süße«, sagte Manasse,
»paß bloß auf, jetzt geht’s rund!«
»Was?« sagte Verna.
»Paß mal auf...«
»Ich passe auf, ich tue verdammt den
ganzen langen Tag nichts anderes, als aufzupassen. Gibt es sonst was Neues?
Hast du dich in eine schicke kleine Wodkaflasche verliebt?«
»Ich trinke nicht mehr«, sagte Manasse
feierlich, »ich habe nachgedacht.«
»Ich auch. Wir denken alle nach.
Stundenlang. Danach machen wir weiter. Alles wie gehabt.«
»Paß auf, Süße, was ich dir jetzt sage,
bleibt bitte unter uns!«
»Aha.«
»Sie haben Macody in der Zange.«
Was gab es dazu zu sagen. Manasse
schnalzte mit der Zunge.
»Dich interessiert das nicht!« sagte er
enttäuscht. »Dabei dachte ich, genau das würde dich interessieren, Süße.«
»Mich interessiert mein Konto mehr als
dein Geschwafel. Und mein Konto leert sich zusehends.« Er sagte nichts mehr,
sondern schnalzte nur.
»Was machst du?« fragte Verna.
»Nichts Besonderes!«
»Komm schon, Manasse, jetzt stell dich
nicht so
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