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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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ihrer
altmodischen Nachttischlampe mit dem troddeligen Schirm klebte in seinen
Haaren.
    »Einmal«, sagte sie und massierte ihn,
während er scharf einatmete und der Geruch der Luft plötzlich hart und blau
wurde, »es war natürlich vor sehr langer Zeit, habe ich einem Freund einen
Negerkuß in den Bauchnabel gedrückt!«
    Durch die Dunkelheit des Bauchraumes
wirbelte Alakars Magen und schlug am anderen Ende der Welt auf, bei Theben,
unter dem Wall, durchs Treppenhaus, ins Freie. Die Leute mochten Eliots
Gedichte, schienen sie sogar zu lieben, obwohl es die Gedichte eines Toten
waren, der durch einen lebendigen Mund zu ihnen sprach.
    »Wunderlich!« sagte er.
    Veras Lachen war am Boden von Frost
überzogen, aber ihre Hand blieb fest und verläßlich auf ihm.
    »Ich habe den Negerkuß verrieben«,
flüsterte sie, »so... oder nein... so war das. Mit dem Daumenballen über seinen
Bauch verteilt wie Deckweiß, Al-kalar, aus einem Schulmalkasten, erst beinah
strahlend — aber am Schluß blieben nur die schmutzigen, grauen Reste.«
    »Negerkuß sagt man aber nicht«, sagte
er, blindlings nach ihren Brüsten tastend, die sehr weich waren und plötzlich
seine Hände gänzlich ausfüllten.
    »Sie heißt Doris«, sagte er, »Doris
Knöchel.« Im roten Licht der Lampe war das Gesicht der Vernapuppe eine
Aprikose, auch die Aprikose lächelte jetzt, das satte, faltenlose Lächeln eines
Säuglings.
    »Doo-ris!« wiederholte Vera zufrieden,
und dann nochmal: »Dooo-ris!«
    »Ich glaube«, sagte Alakar, »daß Doris
Fetischistin ist, es aber selber nicht weiß.«
    Wieder rumorte sein Bein, das Bein, das
sich im Beinhimmel befand, nicht da, wo es hingehörte, und die Beinengel und
der Beingott beruhigten es. »Fetischismus treibt die Menschen in die
sonderbarsten Rationalisierungen. Das kannst du mir glauben, Vera.«
    »Hast du sie geliebt, Al-kalar? Ich
meine, wie hast du sie geliebt? Wie genau?«
    Er sagte nichts, er mußte warten, bis
sie erneut fragte. Er hatte Doris Knöchel sehr geliebt, ausgiebig, ihre
gefälligen, sommersprossigen Brüste.
    »Doris ist blond«, sagte er, als Vera
sich über ihm erhob, Scylla und Charybdis, als sie keuchend auf ihn
heruntersah.
    »Wie hast du sie geliebt?«
    »Ach, Liebe«, sagte er, »Liebe, was ist
das schon?«
     
    nne Sexton ist im Auto gestorben,
dachte Verna, ich sterbe mit dem Kopf im Kühlschrank. Gewürzgurken drückten
gegen ihr Ohr. Von Tag zu Tag wurden die Kopfschmerzen schlimmer, schlugen ihr
schon morgens in Wellen gegen die Stirn und liefen erst nach Stunden in
kräuseligen Schauern am Schädelgrund aus. Die Chinesen behaupteten, daß das
Altern im Hinterkopf und Nacken begänne, an diesem Punkt, dem Jadekissen. Das
wußte sie vom Herrn aller asiatischer Spitzfindigkeit. Vielleicht war es ja
wirklich nur das Alter, aber sie war überzeugt davon, daß sie einen Tumor
hatte, ein haariges Gewächs, das in der stillen Gegend hinter ihren Augen
siedelte.
    Menschen bestanden aus Landschaften.
Meerengen, Täler, Breiten- und Längengrade voller Farbe und Geräusche,
Milliarden verschiedener Gelände mit spezieller Flora und ganz eigener
Wetterlage. Der Landstrich hinter ihren Augen war ein zart schimmerndes
Gitternetz, bewachsen mit Bärenklau und Schafgarbe, keine Straßen, nur ein
Teich, an dessen Ufer Wiesenknopf neben Bach-Nelkenwurz wucherte. Jeden Blick
nach draußen umhüllten die Blüten mit einem kühlen, rosigen Schleier. Dem
Waldorf-Kindergarten sei Dank, sie kannte eine Menge Pflanzen.
    Der Truthahnaufschnitt unter ihrem Kinn
roch säuerlich, eine Woche lang lebte er schon im Kühlschrank, die Woche, in
der sie das Essen vergessen hatte. Verweigere das Essen, hatte Karla früher
vorwurfsvoll gesagt, dann verweigerst du die Brust. Welche Brust, hatte sie
gefragt, und Karla antwortete: die Mutterbrust natürlich.
    Immer war Verna übel, Krämpfe von
morgens bis abends, und Manasse, der ungebeten vor der Türe stand, war der
Meinung, daß sie etwas nicht verkraftete. Etwas? sagte Verna kaltblütig, bevor
sie ein zweites Mal mit ihm schlief, auf dem Teppich diesmal, Übelkeit, bevor
es auch noch zu einem dritten Mal kam. Unterm Waschbecken, die Haare knirschend
vom Sand, den er in seinen Sandalen eingeschleppt hatte. Eine
Wiederholungstäterin, dachte sie, so geht das also, alles geht, wenn man es nur
läßt. Der Kühlschrank tuckerte, vertraute Geräusche der Verzweiflung, die sich
nach draußen verlagert hatte. Ausgelagerte Verzweiflung. Wenigstens so viel
hatte sie in

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