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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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schwarzes Auge hier Ihrem Gesicht antut. Manchmal sieht es
durch die Kamera noch ganz gut aus, aber was dann vorne davon bleibt, ist eine
Metzelei!«
    Hinter dem weißen Papier schaute
Manasse hervor. »Man muß ja nicht denken, daß jeder die nötige
Schirmpräsenz...«
    »Genau«, fiel ihm Kavo ins Wort,
»glauben Sie unserem Profi hier, einmalig, richtig. Jetzt lesen Sie erst mal,
Macody, was er Ihnen da gegeben hat. Er ist ja der Lyrikfachmann,
gewissermassen, ha! Sein ganzes Leben ist quasi ein Gedicht.«
    Verna schüttelte sich, sie lachte, aber
Manasse machte eine sonderbare Bewegung mit seiner Hüfte, und plötzlich stockte
Verna und starrte seine Hüfte an. Ihr Körper blieb im Lachen hängen, verpuppte
sich, aber die Bewegung aus Manasses Hüfte wiederholte sich, deplaziert, beinah
obszön.
    »Macody, die erste!« sagte er,
Metallfäden in der Stimme, und die Luft wurde dünn, als Alakar sich hölzern in
Bewegung setzte. Eine halbe Kurve, das Pult, einer auf einem Berg, ich auf
einem Berg. Der Berg auf einem Ich. Alpenmohn wird auf mir blühen, Papaver
sendtneri, ein Schuttstauer, Pfahlwurzeln bis in die Mitte der Erde, durch
Sediment und Magma. Ich sage kein Wort. Kein Wort. In seiner Hand raschelte
Manasses Papier, und Alakar setzte sich. Ein Scheinwerfer blinkte, etwas
surrte. Zikaden? Bewegungen hinter dem Licht, eine Mauer aus Licht, wo waren
sie alle — gestorben? Wer ist hier gestorben, sagte Vernas Stimme, aber er
bildete sich ihre Stimme nur ein, ist hier jemand gestorben? Nein, nein, sagte
Alakar mit seiner eingebildeten Stimme. Ein Spinett spielte, er schaute auf,
linke Kamera, rechte Kamera, war das die Anfangsmusik?
    »Nein, nein, nein!« rief Kavo, und
Manasse wedelte mit beiden Händen vor seinem Gürtel herum.
    »Hierher!« rief er, Alakar gehorchte,
setzte sich wieder in Bewegung, umrundete das Pult, trat aus dem Licht dahin,
wo Leben war, wo Verna war, die Arme über Kreuz vor ihrer Brust, den alten
Vogel hatte sie abgenommen.
    »So nicht«, sagte Manasse, er
schwitzte, »setzen, ordnen, sofort aufblicken, lächeln. Aber freundlich!«
    »Freundlich!« wiederholte Alakar.
    »Und zwei«, sagte Manasse. Verna
tuschelte mit dem Kameramann, sie machten Geräusche wie Regen auf einem
Ginsterfeld, Besenginster. Später werden die Reiser getrocknet, gebunden, und
mit den Reisern wird das Studio ausgefegt. Nun stell dir mal vor, Al-kalar,
murmelte Vera, heute ist Verna Albrechts letzte Sendung! Wieder lief er los,
Kurve, Pult, setzte sich, Zikaden, ich hatte eine Farm in Afrika. Ich werde
nicht hingehen, sagte Vera, du etwa, Al-kalar? Damals hatte er weinen müssen,
vor einem Kino. Doris Knöchel hatte auch geweint, ein Weinen wie Windstöße, und
sein Weinen wurde kleiner, geschändet, als sie ihm über der Popcorntüte ihre
nassen Augen zuwandte. Kitsch, sagte Doris, Jesus, war das aber kitschig.
Afrika, das kitschigste Land, das ich je gesehen hab. Gnus und Zebras rannten
über seine Zimmerdecke später, Zikaden, die sich nicht wegdenken ließen. Doris
Knöchel stöhnte. Die Gedichte auf seinem Pult glänzten.
    »Kscht!« machte jemand, Manasse, und
Alakar blickte in die richtige Kamera, lächelte zimtig. Dies ist für dich, mein
Kamerafreund, für einen arroganten Arm auf einem Stativ, neben einem schwarzen
Auge. Für den Fetzen einer Lederjacke. Alakar hob das erste Blatt, und er
atmete ein, Sauerstoff blähte Bronchiolen, Alveolen, achtzig Liter Luft pro
Minute. Manasse machte hektische Zeichen.
    »Aber in meinem Traum«., las Alakar, warst du ein
sonderbarer Mann aus Stein.«
    Jemand hustete, eine Frau hustete.
    »... kamst schlafwandelnd herein, mit
unbeweglicher Miene, dein Mund vernäht wie ein Saum...«
    Immer noch hustete Verna, ein
knackendes, unterdrücktes Husten, sie hustete im Licht, hinter dem Licht,
hinter ihrem Monogramm, dem Brainonia- Signet, das hinter ihr und dem
Licht auf ihre letzte Sendung wartete.
    »... eine Schneiderpuppe «, las
er, » die erst oberhalb der Beine und der eingebogenen Taille anfing, mein
alter Puritaner .«
    Als sein Zwerchfell erschlaffte, als
der Druck anstieg und Luft aus Bronchiolen und Alveolen entwich, drückten sich
seine Fingernägel in das weiche Fleisch des Handballens. Verna hustete nicht,
sie lachte, er wußte, daß dies Vernas Lachen war. Sie lachte, wie Anne Sexton
lachte, schrieb, wo Anne Sexton schrieb. In Capri, in Afrika.
    » Dann nahm ich, um weiterzuschlafen«, las er, » eine Tablette, und ich war ein Verbrecher in Einzelhaft,

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