Die Endlichkeit des Lichts
sie es
ausgesucht hatte, damit es etwas zum Lachen gab. Statt dessen hatte sie sich
beinah mit ihrem Halstuch stranguliert, die Tränen standen ihr noch in den
Augen, als Manasse vor der Garderobe wartete, ein paar schwerköpfige blaßrosa
Nelken in der Hand. Schönen Dank, Süße.
Wofür? Für deine Hilfe. Ohne dich hätte
ich mich in dem Zeug niemals zurechtgefunden. Das sind doch keine Gedichte, das
sind Kriege!
Kriege? sagte sie. Oh ja! Die Nelken
hatte sie in eine Saftflasche gesteckt und auf Alakar Macody gewartet, der
nicht kam, obwohl sie sich darauf freute, daß er sie für das Gedicht
beschimpfte und sie ihn zurück beschimpfen konnte. Vielleicht hielt er nichts
von Beerdigungsfeiern. Es war kein Problem, Izzy hatte sich sogar geweigert,
zum Begräbnis seines ältesten Hundes zu gehen, des Jack-Russell-Terriers, der vor
Heathcliff kam. Er hieß Donald Davie, weil Izzy den Kritiker und Dichter
verehrte, der Syntaxverwerfungen in der Dichtung für eine Bedrohung von
öffentlichem Recht und Ordnung hielt. Ein Standpunkt, den Izzy umwerfend fand,
seit sich die Syntax seiner eigenen Verse zusehends lichtete. ›Ein Hund. Ein
Haus. Ein Hof. Brennend‹ hieß eins seiner Gedichte, das sich über mehrere
Seiten erstreckte, Stakkato, bumm, bumm, bumm, ein Musikstück, daß aus Bässen
bestand. Aber schön sah es aus, weil er die fertigen Werke stets auf Bütten
drucken ließ. »Manierismen. Der Schein. Den ich mir. Erlauben So endete Hund,
Haus, Hof endlich, eines Freitags in der Früh. Seine Gedichte las er ihr immer
nachts vor, gerührt von den Gefühlen, die er erst beim Vorlesen in sich entdeckte,
auch in der Nacht nach Donald Davies Beerdigung, der an Staupe zugrunde
gegangen war. Izzy liebte eben das Leben, nicht den Tod, ehrte die Lebenden,
nicht die Geister, und wenn, dann höchstens, indem er einen Hund nach ihnen
benannte, selbst wenn die Namensgeber noch nicht gestorben waren. Sie würden es
tun, soviel war sicher. Ein Haus. Ein Hund. Ein Hof. Brennend. Auch in seinen
syntaxlosen, versfreien Versen schlug Izzys morbide Grundausstattung durch,
deshalb haßte er Beerdigungen. Deshalb trug er weiß. Er haßte alles, was ihn an
den Tod erinnerte. Deshalb haßte er mich.
Donald Davies Beerdigung jedenfalls
wurde von Verna ausgerichtet, sie bettete den schweren toten Hundekörper in
eine Umzugskiste und trug ihn in den Hinterhof. Dabei riß einer der Pappbügel
ein, und Donald Davie klatschte auf den Asphalt. Obwohl sie wütend war, kratzte
Verna für ihn die Erde hinter den Mülltonnen auf, mit einer Nagelfeile und
ihren perlmuttrosa-lackierten Moderatorinnenfingernägeln. Soviel zu
Syntaxverwerfungen, zu Kritikern und zu Izzy, der zeitgleich einen Shiatsu-Kurs
in der Vorstadt gab und dort die Lebenden in Form schlüsselbeinprominenter
Shiatsu-Mädels ehrte. Sie benötigten so viel mehr Zuspruch als ein stinkender,
x-beliebiger Hund, der aus einem Pappkarton fiel. Jemand mußte den
springlebendigen Mädels sagen, daß im Oberbekleidungsbereich weißes Leinen
energetisch günstiger war als graues, jemand mußte es demonstrieren.
Wir haben nur schnell den Vertrag
gemacht, hatte Kavo nach dem Casting gesagt, als er schließlich doch noch mit
Alakar Macody um die Ecke stob. Macody fixierte seine Schuhspitzen, weil er ein
Schuhspitzenfetischist war. Ganz groß auf dem Schirm, rief Kavo, ich hab’s mir
angesehen. Die Leute lieben seine Gedichte. Natürlich hatte sie gratuliert, während
Alakar Macody die Nelken in der Saftflasche anstarrte. Sie hatte sagen wollen:
Es sind nicht seine Gedichte. Gedichte gehören dem, der sie hört. Aber sie
sagte lieber nichts, das schien zu ihrer Vollzeitbeschäftigung zu werden.
»Warum sagst du denn nichts,
Verna-Mäuschen?« sagte Kavo.
Über dem Parkplatz erhob sich die
Mauer, die eben noch auf dem Parkplatz stand, und zerfiel in tausend
scharfkantige Steine.
»Macody will feiern. Ich hoffe, du bist
mit von der Partie.«
Manasse und Annett waren plötzlich
nicht mehr zu sehen, wahrscheinlich hatte Kavo sie wegen Dummheit umgebracht,
ein perfekter Mord, es hieß Lupara bianca, keine Fingerabdrücke, keine
Blutspuren. Tötung durch Verschweigen. War das schon eine Syntaxverwerfung? Ein
Gedicht? Etwas, wofür Donald Davies Tod sich gelohnt hätte?
Alakar Macody meditierte über Kavos
Bügelfalte und weigerte sich, sie richtig anzusehen. Du wanderst freundlich
durch die Nacht, dachte sie. Aber er wanderte nicht, er wartete. Pures
Bewußtsein, das der Materie entstieg und
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