Die Endlichkeit des Lichts
ließen. Dann drehte er ihr so
heftig den Kopf zu, daß seine Halswirbel krachten. »Süße, das hätte ich ja nie
von dir gedacht!«
»Aber heiraten«, sagte Verna, »würde
ich nicht!«
Sylvia Plath seufzte.
»Es müßte eine Feier geben, wenn man
zweimal geboren wurde«, sagte jemand neben Manasse, jemand, der Sylvia Plath
ebenfalls hatte seufzen hören. Alakar Macody, der neue Dichterfürst von
Tele-Fun, tat für zwei von Vernas Schritten einen.
»Großartig!« rief Kavo von hinten, »ich
liebe das hohe Niveau meiner Mitarbeiter. Da oben in der Luft, wo sie keiner
mehr versteht!«
»Wie bitte?« fragte Verna.
»Großartig, sagte ich«, wiederholte
Kavo, »deine Show heute war großartig. Wenn du nur willst, hast du dich auch im
Griff. Heulen ist doch noch nie deine Sache gewesen.«
Annett giggelte, Murmeln, gläserne,
glänzende Kugeln quollen aus ihrem Mund, Wasserblasen, die durch die Oberfläche
stießen und an Häuserwänden zerplatzten.
»Ich hatte aber Macody gemeint«, sagte
Verna.
»Wie bitte?« fragte Alakar.
»Ich sagte vorhin: Wie bitte?« sagte
Verna. »Daraufhin wiederholte Kavo: Großartig. Dabei hatte ich mit ›Wie bitte«?
gar nicht ihn, sondern Sie gemeint!«
Mit zurückgeworfenem Kopf kreischte
Annett, bis Vernas Schädeldecke zu prickeln begann. »Verna, du bist so...
komisch!« schrie sie.
Sie hatten alle ein Glas Sekt zuviel
gehabt. Ein Hoch auf Verna, ein Hoch auf Annett, ein Hoch auf Brainonia !
Verna blinzelte, sie blinzelte zu oft, ein Tick, das Tourette-Syndrom. Ich
halte das nicht mehr aus. Ich werde in die Knie gehen und sterben. Eine gute
Idee, wer machte das noch so, die Elefanten?
»Worauf«, sagte Macody, »hatten Sie
sich denn bezogen?«
»Mit den Elefanten?« fragte Verna und
blieb stehen.
»Verna-Häschen«, sagte Kavo bedauernd,
»mir scheint, du hast einen zuviel intus. Dabei hätte ich geschworen, daß
Manasse zuerst umfällt. Aber vielleicht ist es ja ansteckend!«
Stillgestanden, dachte Verna, ich wäre
so gern eine Dichterin, schade, daß mir die Worte fehlen oder der Rhythmus, der
Zwang. Was war mit den Elefanten, mit ihren besonnten, durchwucherten,
fleischigen Sterbeplätzen? Mit einem Ruck drehte sie sich um, und Manasse, der
immer noch mit ihr verhakt war, taumelte. Alakar Macody dagegen hatte neben
Kavo beide Füße fest in den Boden gestemmt. Sie warf ihnen einen unmutigen
Blick zu.
»Kavo, ich sagte: Aber heiraten würde
ich nicht! Daraufhin...«
»...meinte Alakar«, sagte Annett, »daß
er gern feiern würde, wenn er Geburtstag hätte!«
»Ja, ist das denn ein Verbrechen?«
fragte Kavo. Der Armani-Mantel klebte an seinem Rücken, als ein Windstoß ihn
traf. »Ich feiere auch gern! Also ab zu Mister Hu, Macody, Junge. Die Königin
ist tot. Du entschuldigst, Verna-Liebling — kleines Aperçu. Es lebe der König!«
»Und natürlich«, warf Manasse an Vernas
Arm ein, »die Königin auch!«
Annett, deren Kopf an Kavos Schulter
lehnte, straffte sich, ein Glitterrest aus ihrem Dasein als Glückskäfer klebte
an ihrer Wange.
»Hatten Sie gerade gesagt«, sagte
Verna, »es müßte eine Feier geben, wenn man zweimal geboren wurde? Habe ich das
richtig verstanden, Alakar?«
»Er hat nur gesagt, daß er gerne
Geburtstag feiert«, sagte Manasse quengelnd.
»Da gratuliere ich Ihnen aber
herzlich!« sagte Annett, machte sich von Kavo los und schob ihre schmale Hand
in Macodys Manteltasche. »Das wußte ich überhaupt nicht, daß Sie heute
Geburtstag haben.«
Wind drückte sich durch Fugen und
Mauerritzen der Backsteinwand am Ende des Parkplatzes, lockerte Mörtel und
dünne Streifen von trockenem Moos und leckte an Vernas Kragen. Du lüftest mich,
dachte sie. Auf weißen Pferden vergeht dein Weg und springt mein Haus.
Ein Knall. Das war mein Leben.
An Macodys Casting hatte sich ihre
letzte Show angeschlossen, eine schöne Show, in der eine
Hauswirtschaftslehrerin mit dem Jojo-Diät-Effekt gegen einen Discjockey gewann,
der die Stücke auf Schellackplatten an den Rillen erkannte. Und zwar nur mit dem
Zeigefinger, und zwar nur an den Rillen. Aber sie konnte darüber nicht lachen,
weil Alakar Macody zuvor mit dieser geisterhaften Stimme ein Gedicht über sein
verlorenes Bein vorgelesen hatte. Wobei das Gedicht weniger von seinem Bein
gehandelt hatte als von dem Bein von Anne Sextons Liebhaber. Immerhin hatte er
das Gedicht auswendig gekannt, wenigstens die letzten paar Zeilen, ich
verlor ein Bein und so weiter. Sie hatte nicht lachen können, obwohl
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