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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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der andere, der richtige?«
    »Sie sagt, ein Unternehmer, ich sage
lieber, Fabrikant, es hört sich technischer an. Er wird ein guter Mensch
gewesen sein, einer, der wußte, was er nicht wollte: Zwillinge. Einmal hat sie
es sogar mit dem Kinderwagen bis vor seine Tür geschafft, alles voller
Buchsbaum, Liguster, in Tierform gestutzt. Für das richtige Kind, sie hatten
englische Geschäftsfreunde. Er soll auch rausgekommen sein, bis vors Tor. Aber
nicht lange. Dabei sahen wir so niedlich aus, sagt sie, mit unseren kleinen
Köpfchen in den kleinen Mützchen.«
    Bis das eine kleine Köpfchen dann —
warf Antonio ein. Danach schwieg er pietätvoll. Wenn Alakar Verna eine Hand
aufs Knie hätte legen können, aber er brachte es nicht fertig, sie beide zu
trösten. Messias, dachte er, den die Rabbiner als Semach, Keim, oder Menachem,
Tröster, kennen. Kabbalistisch haben beide Worte denselben Zahlenwert. Andererseits
hatte Maschiach, das Wort für Messias, in der Buchstabenrechnung die gleiche
Zahl wie Nachasch, Schlange. Aber vielleicht gab es schlangenhafte Tröstungen,
die auch galten. Allerdings kam Verna ihm in diesem Moment ungefähr so tröstbar
vor wie ein Ryolith.
    »Kennen Sie sich mit Steinen aus?«
fragte er.
    »Kommt ganz drauf an, mit welchen. Mit
Izzy habe ich mich gut ausgekannt.«
    »Ryolith«, sagte er, »Vulkangestein.«
    »Zu Hörigkeit und Geltungswahn neigende
Menschen«, zitierte sie, »sollten zum Ausgleich unbedingt Ryolith am Körper
tragen.«
    »Dann haben Sie das gleiche
Steinbestimmungsbuch wie ich«, sagte er verwundert.
    »Von Izzy geerbt. Als er weg war, hab
ich tagelang darin gelesen und geweint. Immerhin, wir haben etwas
gemeinsam. Aber es ist ein schlechtes Steinbestimmungsbuch. Es behauptet, daß
der Ryolith ehetauglich macht.«
    »Er verbindet auch Vegetativum mit
Bewußtsein.«
    »Esoterik!« sagte sie abfällig. »Sie
Hilfsizzy! Der war der hauptberufliche Esoteriker.«
    »Ich liebe eher die Mystiker«, sagte
er, »und Izzy... deshalb ist Esoterik ja kein Verbrechen.«
    »Aber bigott«, sagte Verna, »nichts
besitzen, nicht anhaften, sich weder freuen noch leiden. Lieben — aber auch das
nur allgemein. Platonisch und menschheitlich. Das hat mich am Schluß
fertiggemacht, dieser ganze rosafarbene Humanistikkram. Manchmal fürchte ich,
daß die Esoteriker farbenblind sind. Sagen Quarz und rosa, meinen Schiefer und
grau. Was ist das für ein trostloses Leben? Wüst, öde und liebeleer. So war
Izzy, hockte haßerfüllt lächelnd in seinem Container. Alles sollte gut sein,
alles war gut. Augen zu, und durch. Das meine ich, sie sitzen trotzdem alle in
der Kiste.«
    »Was hat er Ihnen eigentlich getan?«
    »Nun, er behauptete, es täte mir gut,
wenn er nicht mit mir schliefe. Es würde meine Kraft bewahren. Seine allerdings
nicht, er schlief auch gern mit anderen. So sind die Buddhisten — kein
wahlloser Sex, keine Urteile. Dementsprechend hat er vorurteilsfrei jede
genommen. Dann aß ich auch nicht richtig. Zuviel Fleisch, wer brät, brät. So
einfach war damals das Leben.«
    »Ojemine«, sagte Alakar.
    »Das kann man wohl sagen«, sagte Verna.
Ihre Körperoberfläche schimmerte silbrig, als ob das, was sie sagte, sie
verflüssigte. Ein Mensch, gehalten von dünner Haut, die sich jederzeit
verflüchtigen konnte. Die Schaltung holperte, und Alakar zog heftig an dem
verklemmten Hebel. Draußen lichteten sich die Häuser, und sie fuhren an einer
verkümmernden Traubeneiche vorbei, die von einer Litfaßsäule bedrängt wurde.
    »Traubeneiche«, sagte er zu Verna,
»Quercus petraea. Werden bis zu tausend Jahre alt.«
    »Die hier aber nicht«, sagte sie und
sank in sich zusammen.
    Der Wagen füllte sich mit einer
pelzigen, hermetischen Leere. Es war eine schweigende Substanz, in die sich
jedes Wort eindrücken mußte wie ein Stempel. Höret, sagte C. G. Jung, ich
beginne beim Nichts. Das Nichts ist dasselbe wie die Fülle. In der
Unendlichkeit ist voll so gut wie leer. Alakar überlegte, was er sagen
könnte. Morphogenese, dachte er, Formgebung. Das Nichts oder die Fülle
nennen wir das Pleroma. Im Pleroma hören Denken und Sein auf. Verna drehte
ihren Kopf weg. Die ersten Vorstadthäuser kamen in Sicht, gedrungen und müde,
frontbreite Glasaugen starrten Alakar bösartig an. Dann kam zu einem
vorbestimmten Zeitpunkt, sagte T. S. Eliot, ein Augenblick in der Zeit,
unter der Zeit.
    »Verdammt«, sagte er, »manchmal denke
ich in Gedichten.«
    »Ich auch«, sagte Verna, ohne ihn
anzusehen,

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