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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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wechselseitigen Zusammenhang. Es gibt keine
Einheiten, nur Kontakt. Alles entgrenzt sich. Physik ist Buddhismus oder
Konfuzianismus. Physik ist Religion. Alles vermischt sich. Aber man sollte das
nicht wissen.«
    »Alles vermischt sich«, sagte Verna
freundschaftlich, »nur wir beide nicht.«
    »Die Grenze«, sagte Alakar, »existiert
eben hier unten, nicht da oben, wo es unendlich ist. Wie haben Sie das bloß
ausgehalten in Ihrem Brainonia ? All die Jogginghosen und die zahnlosen
Kandidaten, die in Ihrer Kiste gesessen haben? War das ein kosmischer Scherz?
Einzelteilchen, die sich gegenseitig abstoßen, Spins, die sich anbrüllen. Und
worum geht es? Um die Namen von Pilzen! Dabei schreiben sie in der Physik
inzwischen das Namenlose fest. Schwarze Löcher, aus denen es kein Entkommen
gibt, und in ihrer Mitte die unendliche Dichte und Raumzeitkrümmung. Etwas
Mächtiges existiert, sagen die Physiker, ein Ding, niemand kann hineinsehen,
aber es fühlt sich schrecklich an. Deshalb müssen sie es berechnen. Zwischen
uns und diesem Ding ist eine Grenze. Der Ereignishorizont. Das riesige
Davor, wo die Naturgesetze enden. Alles ungültig, was Menschen machen. Keine
Eintrittskarte mehr. So demütig sind sie immerhin. Wer aber über den Rand
fällt, wird zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit buchstäblich zerrissen. Das
Ding schluckt Licht und Farbe. Singularität nennen sie das. Wie würden
Sie es nennen?«
    »Gott?« sagte Verna, als er an ihrem
Haus vorbeifuhr, und er nickte.
    »Sie beweisen Gott, aber sie taufen ihn
anders. Das ist phantastisch. Giordano Bruno mußte dafür noch sterben. Ein
heiliger Moment in der Zeit. Nur, leider weiß ich damit nichts anzufangen.«
    »Es gibt Geschichten, die man erzählt«,
sagte Verna, »und welche, die man nicht erzählt. Deshalb bleiben es doch
Geschichten.«
    »Nur ein Beispiel«, sagte er, »meine
Mutter und mein Vater, Psychologie und Physik. Die Psychoanalyse wurde nach dem
Modell der Newtonschen Physik aufgebaut. Wußten Sie das? Meine Eltern wissen es
nicht. Aber immer passiert im einen Karton dasselbe wie im anderen.
Synchronizität, ohne kausale Verbindung. Heute dann die Elementarphysik und die
systemische Therapie: Jedes Familienmitglied reagiert unbewußt, wenn ein
anderes sich irgendwo verändert. Zur selben Zeit messen auch die Physiker
sonderbare Phänomene. Teilchen, die auf weite Entfernung zeitgleich reagieren,
sofern sie jemals verbunden waren. Nur heißt es, das physikalische Modell ist
wahr, das psychologische erfunden. Sie werden nie aufhören zu unterscheiden.
Der große Kreis. Alles geht weiter.«
    »Halten Sie an«, sagte Verna, »wir sind
doch längst vorbei«.
    »Dagegen das Gedicht!« sagte er. »Was
empfinde ich beim Lesen? Was teile ich? Was läßt mich die Unterscheidung
vergessen? Einer bricht Sätze, knackt geschlossene Gefüge wie einen Tresor. Ich
meine, wer da noch unterscheidet, zielt doch nur mit Worten in Löcher. Spielen
wir etwa Golf? Wenn sie wenigstens spürten, daß das Gedicht unantastbar ist.«
    Als er bremste, flog Vernas Kopf nach
vorn.
    »Was halten Sie von Anne Sexton?«
    »Sie haben doch alle nur die Wahrheit
gesucht und gefunden und ausgesprochen«, sagte er, »die Dichter sind der
eigentliche Schlüssel. Sie sind in der Leere gewesen und haben der Leere Bilder
gegeben. Keine Namen. Sie haben doch alle die Leere teilbar gemacht, ohne sie
wirklich zu teilen. Sie haben Gott die Hand gegeben.«
    »Monatelang war meine Hand
weggesperrt«, zitierte
sie, »in einer Blechbüchse .«
    »Nichts war da«, sagte Alakar, » nur U-Bahn-Geländer.
Vielleicht ist sie beschädigt, dachte ich, und sie haben sie deshalb
eingeschlossen .«
    »Sagen Sie's noch mal«, sagte Verna.
    »Was? Die Berührung? Es heißt doch Die
Berührung ?«
    »Bekenntnislyrik. Sagen Sie:
Bekenntnislyrik! In genau dem Ton, in dem Sie’s damals am Telefon gesagt haben.
Nach der Show.«
    »Abfällig? Meinen Sie das? Es war eine
Notlüge. So ist das mit der Wahrheit. Man spricht sie nicht aus, obwohl man sie
spüren kann.«
    »Weil man es kann«, verbesserte Verna.
    »Wir werden nichts miteinander
anfangen«, sagte Alakar Macody, »ich muß Ihnen das ganz deutlich sagen. Ich
habe es auch von vornherein gewußt. Jetzt sind wir zu weit. Wenn man einmal so
weit ist, ist die Realität nur noch Schund.«
    Er saß in einem Graben, und dann
stürzte der Graben ein. Garben von Kugeln gruben sich in seine Schultern und
Hände. Und eine, dachte er, die mein Bein trifft, ist so

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