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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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mächtig, daß ein totes
Bein in meinem Gedächtnis schmerzt. Vielleicht bin ich im Krieg.
    »Man muß das Nützliche daraus nehmen«,
sagte Verna, »man muß es gebrauchen und den Mund halten. Dafür sind wir als
Apparate konstruiert. Selektive Wahrnehmung, Sie sollten sich das antrainieren.
Inzwischen bin ich froh, daß ich keinen richtigen Vater hatte. Keinen von den
Helden. So messe ich sie eben alle nur an Izzy. Den zu übertrumpfen ist nicht
schwer. Ich habe Aussichten. Aber wer weiß, wenn mir der Fabrikant über den Weg
gelaufen wäre? Wenn er für mich Tiere in Hecken geschnitzt hätte? So wie ich
gestrickt bin, hätten das alle Männer danach büßen müssen. Gott entthronen. Da
hätte keiner eine Chance gehabt.«
    Alakar berührte sie am Arm, als er
wendete.
    »Außerdem«, sagte sie, »hat der
Fabrikant auch diesen grauenhaften Namen.«
    »Wie heißt er denn?« fragte Alakar.
    »Knöchel«, sagte Verna mit dumpfer
Stimme. »Verna Knöchel, meine Güte. Das klingt doch wie etwas, was einer auf
der Müllkippe verloren hat.«
    Der Regen hatte eingesetzt, er fiel auf
das Wagendach, Steinchen auf abgezogenen Elefantenhäuten. Trommeltöne,
Wassertöne, Elefantentöne. Izzy, trommelte der Regen, Zeit, sich zu
verabschieden. Das Problem wurde unüberschaubar, besser, Verna hielt die Augen
auf, solange der Berg noch nicht zu hoch war. Im Moment befand er sich auf
einer Ebene mit dem Hvannadalshnúkur, Island, 2119 Meter hoch, aber er konnte bald
beim Gangtschhendsönga in Sikkim angekommen sein. Mehr als 8000 Meter hoch,
Erstbesteiger Band und Brown, gut zu wissen, gut, solche Dinge zu wissen, es
waren die Details, die sie stets beruhigten. »Knöchel«, wiederholte Alakar
Macody, »komischer Name.«
    »Na, dann will ich mal«, sagte sie und
fragte sich, wie sie einmal im Leben elegant aus einem Wagen steigen konnte,
nein, gleiten oder besser noch fliegen.
    »Wahrscheinlich doch eher ein
gebräuchlicher Name, oder?« sagte er. »Knöchels gibt es bestimmt so viele wie
Sand am Meer?«
    »Wahrscheinlich«, sagte sie
gleichgültig, aber gleichwohl war es eine Frage wert, warum Alakar Macody
plötzlich so entsetzt aussah. Ein paar Minuten zuvor hatte er noch wie ein Buch
geredet und saß nun da wie eine Grabsäule. Gegebenenfalls hatte ihn ihre
Unterhaltung doch mehr beunruhigt, als er sich anmerken ließ. Unendliche Weiten
und seine offensichtliche Angst vor dem Irrsinn, der wie ein Trommelwirbel kam.
Dabei war schleichender Irrsinn viel erschütternder. Oder bestand eventuell der
Rest einer Möglichkeit, daß er sie und ihre guten Gespräche schon vorbeugend
vermißte?
    Ich habe gestern abend nichts gemacht,
sagte Izzy gern am Telefon. Nur meditiert, und, ach ja, ein bißchen mit Verna
geredet, es wurde Morgen, die Vögel sangen schon. Es war ein gutes Gespräch.
Das vorwiegend er geführt hatte. Du gibst mir die Anstöße, Verna, du der Queue,
ich die Kugel. Eine grandiose Einschätzung, für die sie jahrelang nicht viel
mehr getan hatte, als in der Wohnung herumzusitzen und auf ihn zu warten. Falls
er dann kam, verhielt es sich genauso. Billard, keine Beziehung. Und wer die
Kugel war, quod erat demonstrandum.
    »Kennen Sie denn noch andere Knöchels?«
fragte Alakar, als sie aus dem Wagen stieg, weil es mit dem Gleiten doch nichts
wurde.
    »Ich kenne genau zwei Knöchel«, sagte
sie, »meine Fußknöchel. Den Fabrikanten will ich gar nicht erst kennenlernen.«
    »Kennen Sie eine Doris Knöchel?«
beharrte er, unüberhörbar unter beträchtlichem Druck stehend. Es gab solche
Menschen, sie reagierten auf die Fußangeln der eigenen Phantasie. Sicher stand
er gerade im Bann des Mount Vinson und stellte sich vor, wie er den höchsten
Berg der Antarktis bestieg, der Vera Alberts Gesicht hatte. Gegen Alakar
Macodys Probleme schienen ihre eigenen kümmerlich wie der Harz zu sein. Ihre
große Vision war die Hütte in den Bergen, eine Bank und ein paar leuchtendblaue
Enzianblüten. Der Mann, der neben ihr das braune Brot brach, hatte kein
Gesicht. Wenigstens konnte Alakar Macody sich ein Gesicht vorstellen, auch wenn
seine Phantasien mühsame alpinistische Eckdaten aufwiesen. Auch wenn Vera
Alberts Züge nicht eben das waren, was einer mit Ansprüchen an eine
intelligente Mimik sich wünschte. Zum Ausgleich blieben Alakar immerhin die
Pilze, Pilze und Gedichte.
    »Ich kenne keine Doris Knöchel. Sie?«
    »Nein«, sagte er, »nein, nein, bestimmt
nicht.«
    »Dann vielen Dank noch mal für die
spannende Debatte«, sagte

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