Die Endlichkeit des Lichts
aussieht.«
»Ich habe ein Abkommen mit Vera«, sagte
Alakar Macody, bückte sich und sammelte feierlich die Salatblätter vom Boden
auf. »Wir sagen uns die Wahrheit. Es ist wie vor Gericht. Oder wie bei Kindern.
Schwöre. Und dann merkst du, daß du es nicht halten kannst. Bei Vera habe ich
jedenfalls eine Menge über die Wahrheit gelernt. Ich bin nämlich nicht
wahrheitsfähig, selbst wenn ich es versuche.«
»Dann versuchen Sie’s doch gar nicht
erst«, sagte Verna. »Versuche die Wahrheit, und sie wehrt sich.«
»Doch«, sagte er, »es ist wie mit dem
kategorischen Imperativ. Es ist eine Moralfrage. Darum kann ich auch nicht weg
von ihr. Sie erinnert mich daran, wie ich sein sollte. Sie organisiert mich.«
»Aber Sie müssen zugeben«, sagte Verna,
»es ist eine absurde Veranstaltung. Entweder, sie unterzieht uns dahinten in
ihrem Bett einer Prüfung. Oder sie ist so meschugge, daß sie Ihnen hier ein
Geschenk macht. Serviert mich auf dem Goldtablett und wartet, ob Sie mich
kosten.«
»Aber nur, damit sie mich später
darüber ausfragen kann. Wolltest du sie. Hattest du sie. Wie genau hast du sie
gehabt.«
»Wen?«
Werna, natürlich. Nicht Sie. Die Verna
von Brainonia.« Niedergeschlagen rieb Verna sich die Gänsehaut von den
Armen, sie wollte ihn etwas fragen, hatte aber vergessen, was. Alle Hoffnung
ging mir verloren, vor dem, was hinter der Hoffnung liegt. Ich kann das nicht,
dachte Verna. Ich kann nicht, nicht nach Izzy.
»Wir werden nicht miteinander schlafen,
oder?« sagte sie.
Alakar schüttelte den Kopf. »Ich denke
nicht.«
»Hab ich mir gedacht«, sagte Verna.
Aber am Schluß, dachte sie. Schweigen wir immerhin gemeinsam. Es hörte sich an
wie eins von Izzys eigenartigen holprigen Gedichten.
»Wo ist eigentlich Ihr Vater?« fragte
Alakar.
»Wo wohl?« sagte Verna.
»Jetzt sagen Sie nicht, auch tot.«
»Mein Vater befindet sich bei der
lieben kleinen Alice. Zwei Engelchen, die im Himmel Kuchen backen. So sehe ich
das gern, und deshalb schau ich sie mir manchmal von unten an. Das Abendrot,
nur für Verna.«
Als sie den Wagenschlüssel herausgab,
hatte Vera launig gesagt: Komm wieder, wie du gegangen bist, Al-kalar! Immerhin
besser als: Sag Verna, sie soll mir noch einen Gutenachtkuß geben. Verna war
durchsichtig, selbst in der fahlen Innenbeleuchtung, beinah nicht mehr
vorhanden. Sie zog die Tür zu, und es wurde dunkel. Der Motor stotterte, weil
Veras Auto ein sehr altes Auto war.
»Wie ich schon bemerkte«, sagte Verna,
»alle sterben. Wir könnten zusammen einen Film darüber machen, wenn wir schon
sonst nichts zusammen tun. Sie spielen meinen Vater, wie er stirbt, ich meine
Mutter, wie sie nicht stirbt, und Kavo freut sich, wenn wir ihm damit Quote
bringen.«
Alakar konzentrierte sich auf die
Straße. Seine Probleme schienen ihm plötzlich ehrlos zu sein — angesichts toter
Eltern, Schwestern, Kündigungen und Gedichten, die sich nicht schreiben ließen.
Was hatten Psychodynamik, Feynmansche Aufsummierungen und halbierte
Gehwerkzeuge in solcher Gesellschaft zu suchen? Mikroskopische Stolpersteine
gegen den Kummer des Kummers. Gegen alles, was Verna betraf.
»Eigentlich stimmt’s auch gar nicht«,
sagte sie mit halber Stimme, »ich lüge schon wieder. Mein Vater ist nur
metaphorisch tot. Er ist einfach nicht vorhanden. Alice und ich waren von
Anfang an nicht echt, sondern matriarchale Inzucht. Er war der
Gentleman-Erzeuger, hat sich nur kurz vorgestellt. Leider war unsere Mutter so
fruchtbar. Eine Stunde auf ihrer Bettkante, und schon war sie schwanger. Und
dann gleich Zwillinge. Aber er hatte schon eins, ein Mädchen, gerade ein Jahr
alt. Darum ist es auch passiert, weil das Mädchen seiner Frau die Lust am Sex
verdorben hat. Weil er ein Gentleman war und sie nicht zwingen wollte. Dafür
hat unsere Mutter uns dann getriezt, daß wir ihn von ihrer Bettkante getrieben
haben. Durch bloße Existenz. Wir haben ihn nie kennengelernt. Selber schuld.«
»War vielleicht besser so«, sagte
Alakar.
»Jedenfalls nicht besser als der
Staubsaugervertreter, den sie nach ihm aufgelesen hat. Der wurde mein Vater,
der ungeteilte Vater, meiner allein. Leider hat Alice ihn nicht mehr miterlebt,
und so gesehen hatte ich ihr vieles voraus. Nicht nur das süße Leben mit Mama
sonntags im Paddelboot, auch diesen Vater und einen offiziellen väterlichen
Nachnamen. Obwohl sie inzwischen geschieden sind. Vater Leo heißt Albrecht.
Adoption, ein Wort, das sich gefährlicher anhört, als es ist.«
»Und
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