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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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packte ihr Handgelenk
im Flug, bevor sie es in die Scherben drücken konnte. Im Flur tappten wieder
bloße Füße.
    »Al-kalar?« rief Vera Albert. »Alles in
Ordnung?«
    »Nichts ist in Ordnung!« brüllte Verna
und machte ihr Handgelenk frei. »Und nennen Sie ihn nicht dauernd Al-kalar!«
    Die Klinke bewegte sich.
    »Vera«, sagte Alakar mit normaler
Stimme, »alles in Ordnung, keine Angst.« Die Klinke rutschte zurück.
    »Hören Sie, Verna«, flüsterte er,
während er die Tür im Blick behielt, »falls Sie das für ein Überlebenstraining
halten — Ihr Problem. Nur sollten Sie ab und zu etwas für Ihre Nerven tun. Die
Kündigung und vielleicht auch... Ihr Freund, aber letztlich sind Sie selbst die
einzige Person, mit der Sie ein Leben lang klarkommen müssen.«
    »Hören Sie endlich auf, solchen Mist zu
reden«, sagte sie genauso leise wie er, »ich kann den Psychologenquatsch nicht
mehr hören. Nerven Sie Vera damit, lesen Sie sich zur Beruhigung ein Gedicht
vor. Buchstabieren Sie ihr meinetwegen Ihr ganzes Leben in die Hand. Vielleicht
macht sie das ja an, dann haben Sie noch mehr Spaß, so viel Spaß, bis sie beide
platzen.«
    Im Grün des Salatblatts drehte sich ihr
Absatz, ein Archipel, ein Atoll. Wenn sie nur zornig genug war, kam sie
vielleicht sogar zum Kern der Erde. Sie merkte nicht, wie Alakar Macody um den
Tisch herumkam, und sie erschrak, als er ihr die Hände auf die Schultern legte.
    »Fassen Sie mich bloß nicht an«, sagte
sie, »von Ihnen will ich nicht angefaßt werden!«
    »Doch«, sagte er freundlich.
    »Sie sind beide krank«, sagte sie, »Sie
und Ihre liebe Vera. Und mit solchen Krankheiten will ich nichts zu tun haben.
Sie gehen mit ihr ins Bett, weil Sie sich für den Messias halten. Sie geht mit
Ihnen ins Bett, weil sie Ihnen das abkauft. Widerlich. Diese ganze perverse
Geschichte, Imbiß, Häppchen, und dann nichts wie ab ins Schlafzimmer. Die
abscheuliche Person da faßt mich tatsächlich an. Sie fassen mich an. Was soll
das sein? Bin ich ein Supermarkt? Mit pornographischer Selbstbedienung?«
    »Sexuell interessieren Sie mich nicht«,
sagte Alakar Macody, »und diese widerliche Person, diese widerliche einsame Person,
hat Sie angefaßt. Sie wissen doch, warum. Sie sind nicht dumm. Nein, sie kam
Ihnen ganz recht. Sie hätten nein sagen können. So viel Gerechtigkeit bleibt am
Ende immer. Aber Sie haben Vera vorgeführt, zugelassen, daß sie sich vorführt.
Und es hat Ihnen sogar gefallen, daß ich dabei zugesehen habe. Also sind wir
quitt, Verna.«
    Als sie den Kopf schüttelte, packte er
wieder ihr Handgelenk.
    »Vera ist allein«, sagte er ungerührt,
»ich bin auch allein, und Sie sind’s nicht minder. Es gibt keine Hierarchie der
Krankheit. Vielleicht sind wir alle krank. Vielleicht müssen wir uns deshalb so
plagen.«
    Laß mich los, dachte sie, dann sage ich
dir die Wahrheit. Es ist alles ein Irrtum, es kommt davon, daß dieses Geschöpf
in ihrer Wohnung steht. Die Plastikalice. Alice, die nicht auf einen
Stiefelknecht gefallen ist, Alice, die groß geworden ist, Alice hinter mir, die
überlebt hat. Folteralice, Spiegelalice, Alice-halber-Zwilling.
    »Machen wir jetzt Schluß damit?« fragte
Alakar Macody. »Oder sollen wir uns schlagen, bis Blut fließt? Meinetwegen
gerne.«
    Ich kann nicht mehr, dachte Verna, ich
will auch nicht mehr. Ich kann mich gegen Izzy nicht wehren.
    »Vielleicht«, sagte er, »fangen wir
besser einfach von vorne an.«
    Ich habe, dachte Verna, ich habe. Blut
klopfte in ihrem Kopf, klopfte an, färbte Augen, Hände und Worte, die auch
anklopften. Einfach noch mal von vorne an. Ich habe, ich habe. »Ich habe eine
Schwester gehabt — Alice«, sagte sie, »sie wußte alles über Schmetterlinge.«
    »Ist sie gestorben?« fragte er.
    »Natürlich ist sie gestorben. Dann ist
Izzy gestorben.« Amen, dachte sie, es ist wahr. »Die beiden sind gestorben, nur
meine Mutter nicht, obwohl sie es am meisten verdiente. Sie hat Alice gehaßt.
Wahrscheinlich hat sie auch mich gehaßt. Darum mußte sie auch dauernd mit uns
basteln. Dann fiel Alice auf den Stiefelknecht. Ein völlig nutzloser
Stiefelknecht, mit dem sich nie jemand die Stiefel ausgezogen hat. Sie hätte
eben keine Widerworte geben sollen. Dann wäre unsere Mutter nicht so wütend
gewesen. Aber sie war wütend. Dann kam die Beerdigung. Danach kam nichts mehr.
Bis Izzy auch gestorben ist. Vielleicht war das die Strafe. Jeder stirbt, alle
sterben. Vermutlich bin ich selbst schon tot. Alice oben tot, ich

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