Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
kaum verfehlen konnte. Die genaue Entfernung hatte sie zuvor über die Leitpfosten der Zugangsstraßen berechnet. Fünf Sekunden später durchlöcherte sie problemlos den Zweiten, doch nun hatten die Ragnars ihren Gegenangriff bemerkt. Ein kompletter Zug schien nach ihr zu suchen, was auf einen Kilometer zum Glück keine Gefahr für sie darstellte. Einzig der Kommandant verstand offenbar, woher der gezielte Kugelhagel kam; besonders als Angel den dritten Lautsprecher verfehlte, weil er auf der abgelegenen Seite des Lasters lag und sich die Elektronikanlage dazwischen befand, an der ihre Kugel funkenschlagend abprallte. Ehe sie es erneut versuchen konnte, fuhren die Ragnars die Schallwaffe mitten in die Siedlung herein. Geistesgegenwärtig feuerte Angel auf den Motor und legte ihn lahm, aber der Schwung des LKW ließ ihn hinter eine Hausfassade rollen, wo er vor weiterem Beschuss geschützt war.
»Jade! Zwei Lautsprecher sind tot, aber ich komm nicht mehr ran!«, rief sie in ihr Funkgerät. Dabei fiel ihr ein, dass die Bacchae ja ebenfalls Ohrstöpsel trug und sie nicht hören konnte.
Als sie daraufhin ihre Deckung aufbauen wollte, stellte sie fest, dass die Ragnars bei weitem keine undisziplinierten Barbaren wie die Vultures waren. Trotz des überraschenden Abwehrfeuers auf dem Boden und Angels Präzisionsangriffs aus der Ferne hatten sie ihre Fassung behalten und einen hilflosen Prätorianer nach dem anderen ausgeschaltet. Die zahlenmäßige Überlegenheit sorgte zudem für ein äußerst kurzes Gefecht. Cassidy trug auf einmal Industrieohrschützer und wurde im Eiltempo mit einem Gewehr im Rücken abgeführt. Ihr folgte ein Ragnar mit C.T. auf der Schulter. Nur Dog behauptete sich noch tapfer. Ihm war es gelungen, einem besiegten Gegner seine Ohrschützer zu rauben, wodurch er wieder beide Hände benutzen konnte. Das Fiepkonzert hatte jedoch Spuren hinterlassen, denn er wankte gefährlich wie ein Segelmast bei stürmischer See. Die Ragnars wussten nicht recht, ob sie ihn auf der Stelle erschießen oder in Gefangenschaft nehmen sollten, bis ihm einer von hinten in die Knie trat und damit zu Boden zwang.
In diesem Moment erreichte Jade endlich das Schlachtfeld und deckte die verbliebenen Ragnars von einer Anhöhe aus mit ihrer Schrotflinte ein. Angel wechselte gerade ihr drittes Magazin, als sich ein kleiner Feuerball in der Ferne erhob. Einer der Ragnars hatte einen Molotowcocktail in Jades Richtung geschleudert, um den Abzug zu decken. Das Fiepen schaltete sich ab und kurz darauf waren sie verschwunden.
11 – Bündnisfall
E ine Stunde später. Angel lag noch immer nahezu bewegungslos auf dem Kühlturm des Kohlekraftwerks und beobachtete die Siedlung in der Morgensonne. Mit ihrem Klappmesser ritzte sie neue Abschussmarkierungen in den Kolben ihres Gewehrs. Zwölf für D-Sechs-alpha und vier weitere aus Jacksonville. Seit die LRAD-Schallwaffe abgeschaltet worden war, hatte sie keinen Ragnar mehr zu Gesicht bekommen. Dafür zeigten die Neces ein ausgesprochen neugieriges Verhalten, das an kleine Kinder erinnerte. Schon nach zehn Minuten waren sie aus ihren Löchern gekrochen gekommen und hatten wie wilde Tiere auf die schmerzhaften Lautsprecher draufgehauen. Dabei ignorierten sie die Handvoll toter Ragnars in dessen Umkreis. Menschliche Kadaver standen demnach nicht auf ihrem bevorzugten Speiseplan.
Inzwischen hatten sie sich wieder verteilt und gingen ihrem normalen Tagwerk nach. Sie suchten nach Wasser, fingen Insekten oder jagten Ratten. Gelegentlich prügelten sich zwei oder mehr Neces und schienen nur ein paar Minuten später bereits vergessen zu haben, worüber sie sich eigentlich gestritten hatten. Ein Verhalten, das bittere Erinnerungen an die Saufgelage der Vultures in Angels Gedächtnis wachrief.
Sie wollte warten, bis die Sonne vollständig aufgegangen war, ehe sie sich dem Schlachtfeld näherte. Bis dahin nutzte sie die Chance, die Neces in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten. Cassidys neue Freundin Alison würde sie vermutlich sehr beneiden, doch allmählich schmerzten der Scharfschützin alle Knochen von der unbequemen Position, in der ihr zusätzlich ein permanent staubiger Wind um die Ohren pfiff. An einen Blick nach unten durch die Metallgitter war bei Tageslicht nicht zu denken. Der Gedanke an den minutenlangen Abstieg reichte bereits aus, damit sich ihr der Magen umdrehte. Auch so ein Grund, warum sie bisher die regungslose Beobachtung genoss und ihre Rückkehr auf später
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