Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)

keuchte sie nach gefühlten sechs Etagen. »Ich muss Cassidy also als entbehrliches Objekt betrachten, um in euren Club aufgenommen zu werden?«
    »Ich hab nie gesagt, dass ich sie nicht zu schätzen wüsste«, rief Jade ihr zu. Der leichte Steppenwind vom Boden hatte sich verstärkt, so dass sie etwas lauter reden musste. »Ich hätte euch beide rausgeholt, aber ich muss zuerst an das Imperium denken und darf mir keine Bevorzugung leisten.«
    »Keine Bevorzugung, hm?«, rief Angel zurück. »Und was ist mit dir und Grant? Und Jiao?«
    »Das ist was Persönliches.«
    »Wie viele andere hast du noch?«
    »Neidisch?«
    »Ich hab‘s nicht so mit Frauen.«
    »Dein Verlust«, antwortete Jade. Sie blieb auf einer Zwischenplattform stehen und studierte den Horizont. »Die Ragnars kommen in Reichweite«, murmelte sie. »Schätze noch zehn Minuten, bis die Neces sie bemerken.«
    »Bringen die nicht die Hawker gegen sich auf, wenn sie das Giftgas klauen?«
    »Möglich. Das wird ihnen aber egal sein, wenn die Vultures es einsetzen.«
    »Die sind also für die Ragnars ebenso Kanonenfutter wie für euch?«
    Jade gönnte sich ein Stoßlachen. »Das ist eben das Schicksal der halbstarken Gangs. Diejenigen, die übrig bleiben, werden sicher in einen der Stämme von Ragnarök aufgenommen, aber die Zahl dürfte am Ende überschaubar sein.«
    »Sag mal, du bist aber nicht an Cassidy ... interessiert, oder?«, brachte Angel zögernd hervor.
    Jade blickte sich gemächlich zu ihr um.
    »Also, ich hatte auf einen günstigeren Zeitpunkt gewartet, um dir das zu sagen«, begann sie. »Aber ...«
    »Aber!?«, echote Angel bedrohlich.
    »Nein!«, beruhigte Jade sie sicherheitshalber mit großer Deutlichkeit. »Ich hab die Option natürlich durchgespielt, aber ihr Umgang mit dir hat sie gegenüber Menschen wie mir misstrauisch gemacht. Sie ist nicht so leicht zu manipulieren wie ...«
    »Wie Jiao?«
    »Hm.« Jade setzte ein resigniertes Gesicht auf, so als würden sich zusätzliche Ausführungen erledigt haben. »Wir sollten zusehen, dass wir nach oben kommen.«
    Fünf weitere Minuten dauerte die beschwerliche Klettertour auf den Kühlturm des Kohlekraftwerks. Der graue Beton war mit den Jahrzehnten brüchig geworden, so dass die Stahlstreben des Wartungsgangs mitunter gefährlich vibrierten. Jade hatte es inzwischen aufgegeben, Angel mit ihrem Gestampfe in Verlegenheit zu bringen und beide atmeten erleichtert durch, als sie endlich oben ankamen. Die kreisrunde Krone des Turms war einen halben Meter breit und bot mitsamt den Bodengittern Platz für zwei liegende Personen. Bei einem Blick hinab auf den zurückgebauten Wärmetauscher wäre Angel jedoch um ein Haar abgestürzt.
    »Hoffentlich bleiben wir hier nicht zu lange«, keuchte sie erschrocken und rutschte mit kreidebleichem Gesicht etwas weiter in die Mitte.
    »Die halten direkt auf Jacksonville zu«, sagte Jade. »Wenn ich es nicht selbst sehen würde ...«
    »Wie viele Neces sind in der Stadt?«
    »So um die hundertfünfzig. Das ändert sich ständig.«
    »Und da sollen sechzig Männer nicht reichen?«, wunderte sich Angel.
    »Wenn du die Hälfte davon abschreiben willst, klar«, hielt Jade dagegen. »Eine halbe Stunde bis Sonnenaufgang.«
    »Sind das vielleicht Vultures auf den Truppentransportern?«
    »Die kommen aus dem Norden. Warum sollte man sie nach Ragnarök schaffen, nur um sie anschließend wieder zurückzufahren? Außerdem bezweifle ich doch sehr, dass die Clanführer da oben den Vultures so eine Aktion zutrauen.«
    »Na gut. Wie lautet der Plan?«, fragte Angel.
    »Wir warten, bis sie Jacksonville angreifen, und fallen ihnen in den Rücken«, erklärte Jade. »Die Neces erledigen den Rest.«
    »Wenn das so einfach ist, warum hast du dann Yuen um Hilfe gerufen?«
    »Weil ich mich an Abkommen halte, die ich selbst abgeschlossen habe!«, knurrte Jade zurück. »Früher hätte er sofort Jiao mit Leon und seinen Männern vorbeigeschickt. Er muss an irgendwas Großem dran sein, sonst wäre Danny längst mit Hawk-two unterwegs und wir bekämen die nötige Luftunterstützung.«
    Beide Frauen verstummten kurz darauf, als der Ragnarkonvoi auf die Zielgerade einbog. Die Motorräder folgten nun den LKW, die im Gänsemarsch dicht zusammen auf den Ortseingang zuhielten, bis sie direkt neben dem ersten Gebäude stoppten. Jade griff nach ihrem Funkgerät, um den Angriffsbefehl zu erteilen, da zogen die Ragnars auf einmal die Plane vom Führungsfahrzeug.
    »Was ...« Sie tippte Angel hektisch