Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
wobei sie einen Bogen um den qualmenden Transporter und das Bein von Pontus Dahlin machten, das da steif und in seinem versickernden Blut auf einem Stück Wiese ruhte. Tjock-Aku und Göransson beugten sich über Forss und verarzteten seine Schusswunde, Juhani rüttelte wie besessen an der Hecktüre, die beiden Geldfahrer saßen reglos im Gras und sahen ihnen mit leblosen Blicken dabei zu, wie sie sich davonstahlen.
Christiania, November 1985
In einem Kranz aus Licht stand er, mit geschlossenen Augen. Das Blut sammelte sich in seinem Handteller, versickerte zwischen den Fingern und tropfte lautlos auf seine schwarze Trainingshose, auf seine schäbigen Wanderschuhe, auf die Holzdielen.
Er macht immer alles falsch. Er ist zu nichts gut. Er kommt betrunken und hungrig und allein nach Hause und schneidet sich am scharfen Metall der Thunfischdosen, weil seine Hände zittern.
Er versuchte, sich das Blut von der Hand abzuwischen, aber es kam immer noch mehr. Unter dem Schein der Neonröhre leuchtete das rote Netz der Äderchen in seinen Ohrmuscheln. Er öffnete die Augen.
Er sieht mich an, dachte sie erschrocken, dabei bin ich unsichtbar. Sie stand im Schatten des Flurs, an die Wand gepresst, aber vielleicht konnte er ihre Gegenwart ja spüren, so wie die Schlange das Kaninchen. Es war schrecklich, wenn er sie so mit seinen schweren, halb geschlossenen Augen ansah. Es war ein Lauern in diesen Augen, von dem ihr angst und bange wurde.
Langsam zog sie sich tiefer in den Flur zurück. Du Sau, hörte sie ihn zischen. Du Drecksau. Wen meint er damit?, dachte sie. Mich kann er doch nicht meinen.
Leise, ohne Lilja zu wecken, stieg sie in ihre gefütterten Gummistiefel, die über den Herbst eng geworden waren. Sie nahm sich Jacke und Rucksack vom Bett und kletterte über das Fensterbrett hinaus. Sie schlich an der Hauswand und den Efeuranken entlang und sprang über den Kiesweg vor der Eingangstür hinweg. Durch das Fenster sah sie ihn vorgebeugt am Tisch sitzen. Sah sein verschwitztes Haar und seine braungelben Finger, zwischen denen eine Zigarette hing. Die andere Hand lag blutig vor ihm, ihre Finger gekrümmt wie die Beine einer haarlosen Urwaldspinne. Am Morgen würde sie die Flecken nicht wegputzen können, das trockene Holz saugte sich mit seinem Blut voll. Aber das war egal. Sie hatte Wichtiges zu tun. Sie stieg auf ihr Fahrrad.
Vor dem Eingang des Haupttores war ein Hin und Her. An fast jedem Wochenende gab es in letzter Zeit Solidaritätsfeste und Benefizkonzerte in der Grauen Halle: für die Indianer im Big Mountain in den USA. Für die Stilllegung von Barsebäck – Sofort! Gegen die kaputten Hausdächer – »Bekämpft die Schwämme!« Wenn die Leute genug hatten von den Kampfliedern in der Grauen Halle, kauften sie Haschisch am den Ständen beim Haupttor. Oder sie guckten sich den Feuerspucker an. Er war ein Ire. Ein Ire ohne rote Haare. An jedem Wochenende stand er hier, sobald es dunkel war, und spuckte Feuer, manchmal schluckte er es auch. Um sich herum hatte er Kaffeedosen mit ölgetränkten Sägespänen aufgestellt, die er anzündete, weil ihr Feuer so unheimlich flackerte.
Sie stellte sich in den Schatten der Wand. Dorthin, wo er seine Fackeln und Handtücher ablud und die Luft nach Petroleum roch.
Sie tat so, als staunte sie über sein Können. Dabei konnte sogar Ove Feuer spucken. Man durfte nur keine Flüssigkeit verschlucken, weil man davon leicht eine Lungenentzündung bekam.
Als der Feuerspucker begann, sich wie ein Kreisel zu drehen, und dabei eine Flamme nach der anderen in den Himmel pustete, ging sie in die Hocke. Sie zog einen der Plastikkanister an sich, schob ihn unter ihren Mantel und ging.
Ohne Licht und mit einem schweren Kanister im Gepäckkorb bis nach Vesterbro zu fahren, war nicht ungefährlich. Als ihr auf dem Sønder Boulevard ein Polizeiauto entgegenkam, sprang sie vom Rad und schob es den Rest des Weges.
Mit klammen Fingern wartete sie vor dem Fotoatelier Mikkelsen. Kein Mensch ist um diese Zeit unterwegs, dachte sie beruhigt, nicht in dieser Kälte. Sie schraubte den Deckel vom Kanister und schüttete das Petroleum auf die Stufen des Eingangs, gegen die Ladentür und die Holzverkleidung des Schaufensters. Sie trat zurück, riss drei Streichhölzer gleichzeitig an und warf sie in die schwarz glänzende Flüssigkeit.
Sie sprang zu ihrem Fahrrad. In ihrem Rücken hörte sie das zittrige Fauchen des Feuers.
E s stinkt nach verbrannter Milch, dachte sie. Jemand hat Milch auf dem
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