Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
im Zündschloss, und der Motor sprang glücklicherweise beim ersten Versuch an. Er löste auch den hinteren Tampen, während er mit der anderen Hand vorsichtig Abstand vom Nachbarboot hielt. Das Ablegen war nicht ganz einfach. Die Boote lagen dicht gedrängt, und ohne Fender hätten sie alle Schaden genommen.
»Entschuldige, dass ich dich angegiftet habe.« Nachdem sie die Kinder gezwungen hatte, sich auf den Boden zu setzen, ließ sie sich auf einer der Sitzbänke nieder.
»Schon vergessen«, rief er und drückte die Ruderpinne langsam von sich weg, so dass sich das Boot mit dem Heck zum Hafen und mit dem Bug nach Fjällbacka drehte.
Es war ein strahlend schöner Sonntagmorgen mit leuchtend blauem Himmel und spiegelblankem Wasser. Über ihnen kreisten die Möwen, und auf mehreren Booten im Hafen wurde gefrühstückt. Einige Leute lagen bestimmt noch in der Koje und schliefen ihren Rausch aus. Die Samstagabende der Jugendlichen hier verliefen meistens feuchtfröhlich. Wie schön, dass diese Zeit vorbei ist, dachte sie und betrachtete die Kinder, die nun still im Boot saßen, mit sehr viel mehr Zärtlichkeit als zuvor.
Sie stellte sich neben Patrik und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er legte den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Du«, sagte er plötzlich. »Erinnere mich bitte daran, dass ich dir ein paar Fragen zu Valö und dem Ferienheim stellen möchte, wenn wir angelegt haben.«
»Was willst du denn wissen?«, fragte Erica neugierig.
»Das besprechen wir nachher in aller Ruhe.« Er küsste sie noch einmal.
Sie wusste, dass er sie nur ärgern wollte. Vor Ungeduld juckte es sie am ganzen Körper, aber sie beherrschte sich. Schweigend schirmte sie mit der Hand das Gesicht vor der Sonne ab und hielt nach Valö Ausschau. Als sie an der Insel vorbeituckerten, sah sie einen Streifen des großen weißen Hauses, das fast vollständig hinter den Bäumen verborgen lag. Würde man jemals erfahren, was vor so vielen Jahren wirklich passiert war? Sie hasste Bücher und Filme, die am Ende manche Fragen offen ließen, und hielt es kaum aus, von einem unaufgeklärten Mord in der Zeitung zu lesen. Bei den Recherchen zum Valö-Fall war sie kein bisschen klüger geworden, wie sehr sie sich auch bemüht hatte, eine Erklärung zu finden. Die Wahrheit lag im Dunkeln.
Martin hielt einen Moment inne, bevor er den Finger auf den Klingelknopf legte. Kurz darauf hörte er Schritte und unterdrückte den Impuls, auf dem Absatz kehrtzumachen. Annika öffnete die Tür und sah ihn erstaunt an.
»Du? Ist was passiert?«
Er zwang sich zu einem Lächeln, aber Annika konnte er nichts vormachen, und vielleicht war das auch der Grund, warum er zu ihr gekommen war. Seit er bei der Polizei Tanum arbeitete, war sie wie eine zweite Mutter für ihn, und nun wollte er unbedingt mit ihr reden.
»Also, ich …«, begann er.
»Komm rein«, fiel Annika ihm ins Wort. »Wir setzen uns in die Küche und trinken eine Tasse Kaffee. Dann erzählst du mir, was los ist.«
Martin zog sich die Schuhe aus und folgte ihr.
»Setz dich«, sagte sie und löffelte routiniert das Kaffeepulver in den Filter. »Wo hast du denn Pia und Tuve gelassen?«
»Die sind zu Hause. Ich habe gesagt, dass ich einen Spaziergang mache. Deshalb muss ich bald zurück. Eigentlich wollten wir an den Strand.«
»Aha. Tja, Leila badet auch gern. Als wir neulich an der Badestelle waren, haben wir sie kaum aus dem Wasser bekommen, als wir nach Hause wollten. Sie ist eine richtige kleine Wasserratte. Lennart und sie sind gerade weggegangen, damit ich hier ein bisschen Zeit für mich habe.«
Annika strahlte, wenn sie über ihre Tochter sprach. Bald war es ein Jahr her, dass sie und ihr Mann Lennart die Adoptivtochter nach vielen Sorgen und Hindernissen aus China abgeholt hatten. Nun drehte sich in ihrem Leben alles um Leila.
Martin konnte sich keine bessere Mutter als Annika vorstellen. Alles an ihr wirkte warmherzig und fürsorglich, in ihrer Nähe fühlte er sich geborgen. Am liebsten hätte er sich jetzt an sie geschmiegt und die Tränen laufen lassen, die hinter seinen Lidern brannten, aber er hielt sich zurück. Wenn er anfing zu weinen, würde er nicht mehr aufhören.
»Ich glaube, ich wärme uns ein paar Zimtschnecken auf.« Sie holte einen Gefrierbeutel aus dem Eisfach und legte die Teilchen in die Mikrowelle. »Die habe ich gestern gebacken. Ein paar davon wollte ich mit zur Arbeit nehmen.«
»Du weißt aber, dass es nicht zu deinen Pflichten
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