Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
wird nichts.« Seelenruhig nahm Rita ihm das Eis aus der Hand und warf es in einen Abfalleimer.
Mellberg murmelte leise vor sich hin.
»Was hast du gesagt?«
Er schluckte. »Nichts. Gar nichts.«
»Du weißt, was dein Arzt gesagt hat. Du hast ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Diabetes.«
»Ein kleines Magnum hätte mir bestimmt nicht geschadet. Man muss doch auch ein bisschen leben.« Er reichte jedem ein Eis.
»Noch eine Woche Urlaub.« Paula schloss genüsslich die Augen und leckte an ihrem Cornetto.
»Ich finde wirklich, dass du nicht mehr arbeiten solltest«, sagte Johanna. »Jetzt dauert es nicht mehr lang. Wenn du mit der Hebamme redest, bekommst du bestimmt eine Krankschreibung. Du brauchst Ruhe.«
»Hallo!«, rief Mellberg. »Ich habe genau gehört, was du gesagt hast. Vergiss nicht, dass ich Paulas Chef bin.« Er kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Allerdings gebe ich dir recht. Ich finde auch, dass Paula nicht mehr arbeiten sollte.«
»Das haben wir doch längst ausdiskutiert. Ich werde verrückt, wenn ich nur zu Hause rumsitze und warte. Außerdem ist es im Moment ziemlich ruhig.«
»Was heißt hier ruhig?« Johanna starrte sie an. »Das ist doch die turbulenteste Zeit des Jahres, bei all den Besäufnissen.«
»Ich wollte damit sagen, dass wir im Moment nicht in einem großen Fall ermitteln. Außerdem muss ich keine Außeneinsätze machen. Ich kann in der Dienststelle bleiben und mich um den Papierkram kümmern. Also hört auf, dummes Zeug zu reden. Ich bin schwanger und nicht krank.«
»Warten wir es ab«, sagte Mellberg. »Aber in einem Punkt stimme ich dir auf jeden Fall zu. Im Moment ist es ziemlich ruhig bei uns.«
Wie jedes Jahr an ihrem Hochzeitstag stellte Gösta frische Blumen auf Maj-Britts Grab. Grabpflege war ansonsten nicht seine Stärke, aber das hatte nichts mit seinen Gefühlen für Maj-Britt zu tun. Sie hatten viele schöne Jahre gemeinsam verlebt, und sie fehlte ihm noch immer jeden Morgen, wenn er aufstand. Er hatte sich zwar an sein Dasein als Witwer gewöhnt, und seine Tage liefen nach einem so festen Schema ab, dass er manchmal gar nicht glauben konnte, das kleine Haus einst gemeinsam mit einem anderen Menschen bewohnt zu haben, aber das hieß nicht, dass er sich nun wohl fühlte.
Er hockte sich hin und betrachtete die Steine, die den Namen des kleinen Jungen bildeten. Es gab nicht einmal ein Bild von ihm. Als er geboren wurde, glaubten sie, alle Zeit der Welt zu haben, um ihn zu fotografieren. Als er starb, wurde auch kein Foto gemacht. Das war damals nicht üblich. Inzwischen hatte man eine andere Einstellung, hatte er gehört, aber damals sollte man vergessen und nach vorn schauen.
Schaffen Sie sich so bald wie möglich wieder ein Kind an, wurde ihnen geraten, als sie verstört das Krankenhaus verließen. Doch dazu war es nicht gekommen. Das einzige Kind, das er bekommen hatte, war das Mädchen. Die Kleine hatten sie sie genannt. Vielleicht hätten sie sich intensiver darum bemühen sollen, sie behalten zu dürfen, aber ihre Trauer war noch immer zu groß, und sie glaubten nicht, ihr auf Dauer das geben zu können, was sie brauchte.
Maj-Britt fällte schließlich die Entscheidung. Vorsichtig hatte er vorgeschlagen, sie könnten sich doch um das Mädchen kümmern, aber Maj-Britt hatte mit traurigem Gesicht und bereits gezeichnet von dem Verlust gesagt: »Sie braucht Geschwister.« So war die Kleine verschwunden. Hinterher sprachen sie nicht mehr über sie, aber Gösta hatte das Mädchen nie vergessen. Hätte man ihm jedes Mal, wenn er an sie dachte, eine Krone gegeben, wäre er nun ein reicher Mann.
Gösta stand auf. Er hatte ein wenig Unkraut gejätet und eine hübsche Vase für die Blumen geholt. Laut und deutlich hörte er Maj-Britts Stimme: »Was für ein Unsinn, Gösta, solche schönen Blumen an mich zu verschwenden!« Sie hatte nie für möglich gehalten, dass sie mehr als das Alltägliche verdiente, und er wünschte, er hätte sich damals öfter darüber hinweggesetzt und sie ein wenig mehr verwöhnt. Warum hatte er ihr keine Blumen geschenkt, als sie noch etwas davon gehabt hätte? Jetzt konnte er nur hoffen, dass sie von irgendwo da oben herunterschaute und sich über den Anblick freute.
Fjällbacka 1919
B ei Sjölins wurde schon wieder gefeiert. Dagmar freute sich jedes Mal, wenn ein Fest stattfand. Der zusätzliche Verdienst war beträchtlich, und sie genoss es in vollen Zügen, all die reichen und schönen Menschen aus der Nähe zu sehen. Sie
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