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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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schwarze Ungetüm zum Weinen. Doch mit der Zeit fand sie Gefallen daran, die Menschen beim Ein- und Aussteigen zu beobachten. Waren wurden entladen, alles war in Bewegung, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
    Manchmal lief Honor Donovan über den Weg, der vom Stall kam oder auf der Straße stand und mit anderen Männern redete. Er tippte sich dann an den Hut, sprach sie aber nicht an. Comforts Anblick machte ihn eindeutig verlegen.
    Â»Dein Bruder mag keine Babys«, stellte Honor Belle gegenüber fest. Sie gingen gerade am Wadsworth Hotel vorbei, vor dem Donovan saß.
    Belle schmunzelte. »Die meisten Kerle können nichts mit Babys anfangen, sie machen ihnen Angst. Außerdem mögen sie es nicht, dass die Kleinen die ganze Aufmerksamkeit ihrer Mütter beanspruchen, weil sie befürchten, dann selbst zu kurz zu kommen. Im Fall von Donovan kommt aber noch etwas anderes hinzu: Das Baby erinnert ihn daran, dass du verheiratet bist. Im vergangenen Jahr konnte er einfach so tun, als seist du noch ungebunden, das hat ihm Spaß gemacht. Doch jetzt gibt es den lebenden Beweis dafür, dass ein anderer Mann bereits da war, wo er gern hin würde.«
    Honor errötete.
    Â»Du hast jetzt selbst eine Familie, Schätzchen, und nicht bloß in eine geheiratet. Donovan weiß, dass er dagegen keine Chance hat. Und das gefällt ihm nicht. Hast du nicht bemerkt, dass er dir aus dem Weg geht, seit du hier bist?«
    Es stimmte. Nachdem ihre Fruchtblase geplatzt war, hatte Donovan Belle geweckt und geholfen, Honor ins Haus zu tragen, aber danach war er sofort verschwunden. Er ritt jetzt nicht mehr dauernd am Hutladen vorbei wie bei Honors erstem Aufenthalt in Wellington. Eines Abends jedoch hatte er betrunken an der Bar des Wadsworth Hotels auf der anderen Straßenseite gelungert und durchs Fenster hinaus auf Honor gestarrt, die mit Comfort im Arm ebenfalls am Fenster saß. Dann hatte er seinen Tabakpfropfen ausgespuckt, eine Angewohnheit, die Honor überhaupt nicht mochte, weshalb sie die Augen schloss. Als sie sie wieder öffnete, war er verschwunden.
    Doch auch Honor hatte sich verändert. Sie dachte jetzt nur noch an das Baby; sie war für diesen kleinen Menschen verantwortlich, dagegen rückte alles andere in den Hintergrund. Wenn sie Donovan sah, war es, als blicke sie auf einen fernen Strand; einen Ort, den sie einmal geliebt hatte, nach dem sie sich jetzt aber nicht mehr so sehr sehnte. Donovan war für sie wie England geworden.
    Völlig gleichgültig war er ihr aber trotzdem nicht. »Glaubst du, dein Bruder könnte sich ändern?«, fragte sie Belle später an jenem Abend.
    Belle dehnte gerade einen Hut aus schokoladenbraunem Filz, besprühte ihn mit Wasser und zog ihn dann über einen halbierten Holzblock, in dessen Seite eine Eisenschraube mit einem Handgriff steckte. Mit einem Drehen des Griffs konnte Belle den Block weiten, sodass sich der Filz über ihm spannte. »Mein Bruder ist ein schlechter Mensch«, sagte sie. »Er ist anders als du und wird es immer bleiben. Für Donovan sind die Neger kaum mehr als Tiere. Das ist die Einstellung, mit der er in Kentucky aufgewachsen ist, da kannst du in deiner nachsichtigen Quäkerart sagen und tun, was du willst. Nein, Donovan wird sich niemals ändern.«
    Â»Aber du hast deine Einstellung doch auch geändert. Warum sollte er es dann nicht können?«
    Â»Manche Menschen werden schon schlecht geboren.« Belle drehte den Griff, bis sie das Gefühl hatte, der Filz sei straff genug gespannt. »Ich glaube, tief in ihrem Inneren haben die Südstaatler schon immer gewusst, dass Sklavenhaltung nicht richtig ist, aber sie haben sich alle möglichen Theorien zurechtgezimmert, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Und im Lauf der Jahre hat sich dieses Gedankengut bei ihnen immer mehr verfestigt. Es ist dann schwer, die eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen und einfach zu sagen: ›Das war falsch.‹ Ich musste erst nach Ohio ziehen, um das zu schaffen. In Ohio geht das, es liegt an der besonderen Eigenart dieses Staates. Deshalb ist er mir auch ans Herz gewachsen.« Sie streichelte über den Filz, als würde sie damit ganz Ohio streicheln. »Aber Donovan … er ist zu starrsinnig, um sich zu ändern. Ich helfe den Flüchtlingen unter anderem auch, um einen Ausgleich für seine Schlechtheit zu schaffen. Und um ihn dafür zu bestrafen, dass er mir

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