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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Honor schon vielen Mädchen das Nähen beigebracht, deshalb wusste sie, dass es auch unter Quäkerinnen unruhige Geister gab. Ihre eigenen feinen Stiche schrieb sie den langen Schweigeperioden in der Stillen Andacht zu, die sich bei ihr nicht nur beruhigend auf den Geist auswirkten, sondern anscheinend auch auf die Hände, was sich in perfekten Nähten spiegelte. Allerdings schien das nicht bei allen Näherinnen zu funktionieren.
    Honor versuchte nicht, Abigail Ratschläge zu erteilen. Sie zeigte ihr nicht, wie man die Nadel halten musste, empfahl ihr nicht, gerade zu sitzen und einen Fingerhut zu benutzen, damit sie sich nicht in die Finger stach und Blut auf den weißen Stoff tropfte, und brachte ihr auch nicht bei, wie man einen doppelten Rückstich machte, statt den Faden zu verknoten. Es genügte Honor, einfach neben Abigail zu sitzen und in dem Rhythmus zu arbeiten, der ihr schon immer vertraut war.
    Â»Warte, bis die anderen deine Nähte sehen«, meinte Abigail. »Dann darfst du beim nächsten Quiltkränzchen das Quilten ganz allein übernehmen.«
    Mit der Zeit lernte Honor andere Einwohner Faithwells kennen. Wenn sie mit Abigail draußen auf der Eingangsveranda saß, blieben Passanten stehen, um sich vorstellen zu lassen. Außerdem nahm Abigail sie mit zu den Höfen im Westen der Stadt, die Milch und Käse verkauften, wo Honor neben den Bauersleuten auch anderen Kunden begegnete. Nur auf die erste Andacht in Faithwell musste sie eine Weile warten, denn am Fünfttag regnete es so stark, dass Abigail sich weigerte, das Haus zu verlassen. Honor musste deshalb bis zur nächsten Ersttag-Andacht warten, bevor sie die ganze Gemeinde kennenlernte.
    Der Andachtsraum von Faithwell hatte nackte, weiß ge tünchte Wände, die auf allen Seiten von Fenstern durchbrochen waren, sodass er sehr hell wirkte. Von den Ausmaßen her glich er dem Andachtsraum in Bridport; da die Quäkergemeinde von Faithwell aber nur etwa halb so groß war, wirkte der Raum nicht so eng und überfüllt, wie Honor es von zu Hause gewohnt war. Vier Bänke standen im Quadrat. Eine war für die Ältesten der Gemeinde reserviert, deren Rat und Führung die anderen sich anvertrauten. Im Zentrum der vier Bänke stand ein Ofen, dessen Rohr im Zickzack zu einem Loch oben in der Decke lief.
    Honor hatte sich auf die Andacht gefreut, denn sie hatte seit Philadelphia keine mehr besucht und sehnte sich nach dem Gefühl von Ruhe und Frieden, zu dem sie in der Stille meist fand. Doch zunächst einmal dauerte es einige Zeit, bis wirklich Ruhe im Raum einkehrte. Honor kannte das bereits, so war es immer vor den Andachten. Es war, als würde Staub aufgewirbelt, der sich erst wieder setzen musste. Die Menschen rutschten auf ihren Plätzen hin und her, um eine bequeme Haltung zu finden, sie räusperten sich und husteten. Die äußere Umtriebig keit spiegelte die innere Unruhe von Gedanken, die noch bei den Alltagsverrichtungen weilten: im Geschäft, auf dem Feld, in der Küche, bei Sorgen oder Ärgernissen. Doch dann wurde es allmählich stiller. Einer nach dem anderen konzentrierten sich die Anwesenden auf das Innere Licht, in dem sich für die Quäker Gott offenbarte. Die Andachten begannen immer wortlos, doch die Qualität des Schweigens änderte sich mit der Zeit, bis dann der Moment kam, in dem selbst die Luft im Raum sich zu sammeln schien und schwerer wurde. Auch wenn es kein äußeres Zeichen dafür gab, war klar, dass die Versammelten sich an diesem Punkt gemeinsam auf etwas einließen, das tiefer und mächtiger als alles andere war. Honor versank dann ganz in sich selbst. Wenn sie diesen begehrenswerten Zustand erreicht hatte, der sich auch in den Gesichtern der anderen Freunde spiegelte, konnte sie dort lange verweilen.
    Manchmal kam es vor, dass Freunde sich berufen fühlten, Zeugnis abzulegen, als benutze Gott sie als Medium. Sie spra chen dann sehr nachdenklich, manchmal zitierten sie Ab schnitte aus der Bibel. Obwohl es jedem erlaubt war zu sprechen, ergriffen die Ältesten öfter das Wort. Honor hatte noch nie gesprochen, denn sie konnte ihre ganz besonderen Gefühle in der Andacht nicht in Worte fassen. Sie befürchtete sogar, dass allein der Versuch, etwas zu sagen, die Erfahrung zunichtemachen würde.
    Obwohl die Andacht in Faithwell den englischen Andachten sehr ähnlich war, spürte Honor, die schon länger still und

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