Die englische Freundin
schweigend dasaÃ, dass sie innerlich nicht zur Ruhe kam. Der Raum um sie herum war anders, das Licht, die Luft, der Geruch und auch die vielen neuen Gesichter. Von drauÃen drang das Geräusch von Grillen, Heupferdchen und den Tierchen, die Abigail Eichenschrecken nannte, herein. Sie lärmten lauter und durchdringender als alle Insekten, die Honor aus England kannte. Ihr Summen, Brummen und Zirpen bildete eine Wand aus Geräuschen, die sich Honor in den Weg stellte.
Die vielen neuen Eindrücke lenkten sie ab, dabei war Honor nicht zum ersten Mal in einem fremden Andachtsraum. Sie hatte schon an Andachten in Exeter, Dorchester und Bristol teilgenommen und auch dort zur selben inneren Ruhe wie daheim in Bridport gefunden. In Faithwell jedoch war es anders. Gerade weil sie sich hier heimisch fühlen wollte, gelang es ihr nicht: Sie konnte nicht entspannen und ihre Gedanken loslassen. Als die Stille tiefer wurde, konnte Honor sich der allgemeinen Sammlung nicht anschlieÃen. Stattdessen zogen die letzten leidvollen Tage von Graces Krankheit an ihrem inneren Auge vorbei. Dann blickte sie zu ihrer Banknachbarin Abigail und weiter zu Adam, der ihr gegenüber auf der Männerbank saÃ, und schon waren ihre Gedanken bei der angespannten Atmosphäre im Haus, bei den Blicken, die sich Adam und Abigail zuwarfen und die Honor zu ignorieren versuchte. Ihre Gedanken schweiften weiter zu dem Schwarzen in Belles Holzschuppen, zu Belles gelbstichiger Haut und ihren ungewöhnlichen Hüten und schlieÃlich sogar zu Donovan, der ihre Truhe durchwühlte und sie mit hell funkelnden Augen ansah. Er war bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft durch Faithwell geritten. Honor und Abigail hatten gerade Wäsche aufgehängt, und als er sie erblickte, war er langsamer geworden. Zu Abigails Entsetzen hatte er sogar seinen Hut gelüftet.
Honor war kein unruhiger Geist wie Abigail, die während der Andacht ihre FüÃe verschränkte, wieder öffnete und wieder verschränkte, sich die Nase putzte und sich den Schweià aus dem Nacken wischte. Im Gegenteil. Sie saà in der Andacht immer ganz still da und schaffte es sogar, zwei Stunden völlig bewegungslos zu verharren. Doch selbst wenn ein Mensch sich nicht von der Stelle rührte, konnten die anderen spüren, wenn er nicht mit ihnen in die Stille eintauchte. Vielleicht fühlte sich Abigail sogar durch Honors mangelnde Konzentration gestört. Honor schloss die Augen und versuchte erneut, in sich zu gehen. Vergeblich. Sie öffnete die Augen wieder und suchte nach einem Gesicht, das sie führen und inspirieren würde. Bislang hatte sie es in jeder Andacht gefunden: Oft war es ein weibliches Gesicht, das von einer derart aufmerksamen Erwartung beseelt war, dass es selbst in einer Gruppe, in der völlige Gleichheit und Ãbereinstimmung herrschte, stille Führung bot. Es war fast schmerzhaft, in so ein vollkommen gesammeltes Gesicht zu schauen, weil man in eine ganz persönliche Gotteserfahrung einzudringen glaubte. Allerdings erinnerte dies Honor auch daran, dass Freunde in der Andacht völlig offen und unbefangen sein sollten.
In Faithwell fand Honor das gesuchte Gesicht auf der Ãltestenbank, die im rechten Winkel seitlich von ihr stand. Es gehörte einer älteren Frau mit schlohweiÃem Haar unter der Haube. Ihr leuchtender Blick war auf einen fernen Punkt auÃerhalb des Raums gerichtet, vermutlich sah sie etwas vor ihrem inneren Auge. Hochgewölbte Augenbrauen gaben dem Gesicht der Frau einen offenen und staunenden Ausdruck, und die runden Backen betonten die Andeutung eines Lächelns. Honor musste immer wieder zu der Ãltesten hinschauen und sich schlieÃlich zwingen, auf den Boden zu blicken, damit aus ihrem Schauen kein Starren wurde. So beeindruckend das Gesicht der Frau auch war, freundlich wirkte es nicht unbedingt. Sie schien eher ein Mensch zu sein, den man bewunderte und respektierte, aber nicht liebte.
Nach einer Weile erhob sich ein Mann und zitierte aus der Bibel. Nun hatte Honor wenigstens etwas, über das sie nachdenken konnte, selbst wenn es sie nicht zu einer Zwiesprache mit Gott führte.
Nach der Andacht wurde Honor den anderen Gemeindemitgliedern vorgestellt, doch sie hatte Mühe, sich die vielen verschiedenen, teils sehr gewöhnlichen Namen zu merken: Carpenter, Wilson, Perkins, Taylor, Mason. Nur ein paar Namen wie Goodbody, Greengrass und Haymaker ragten aus der Masse heraus.
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