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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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mich sehr unfreundlich mustert, obwohl sie es schnell mit Fragen überspielt: Wie fühlst du dich? Möchtest du einen Tee? Oder sie hüstelt einfach nur laut. Was sie auch sagt oder tut, hinter allem verbergen sich ein eiserner Wille und ein unbeweglicher Geist. Ich weiß nicht, wie Abigail sich das Zusammenleben mit Grace vorgestellt hat, aber auf jeden Fall sind alle ihre Pläne durch meine Ankunft über den Haufen geworfen worden. Dabei mag Abigail es überhaupt nicht, wenn etwas ihren Plänen zuwiderläuft.
    Natürlich muss es schwer sein, wenn einem plötzlich und unerwartet eine Fremde ins Haus schneit und bleiben will. Der unordentliche Haushalt, den Abigail führt, macht es aber auch schwer, sich auf Gäste einzustellen. Sie scheint keinerlei Struktur in ihrer Arbeit zu haben; ich habe zum Beispiel immer noch nicht herausgefunden, an welchem Tag Waschtag ist oder an welchem Tag gebacken wird. Besonders auffällig finde ich, dass die Küche hier nicht das gemütliche Herz des Hauses ist. Wenn ich mit Mutter in unserer Küche in der East Street gearbeitet habe, kam mir immer alles sehr klar, hell und warm vor. Bei Mutter herrschte eine fröhliche Geschäftigkeit, die mich alle trüben Gedanken vergessen ließ, selbst dann noch, als sich das Unglück schon über mir zusammenbraute. Abigails Küche hingegen ist dunkel, unaufgeräumt und nur notdürftig eingerichtet. Wie soll man sich an einem derart provisorisch wirkenden Ort heimisch fühlen? Am liebsten würde ich mich Zentimeter für Zentimeter durchs Haus schrubben, überall lüften und aufräumen, damit alles seinen Platz hat und findet. Ich habe ganz vorsichtig versucht, ein wenig Ordnung zu schaffen, ohne Abigail zu beleidigen, war aber nicht sehr erfolgreich. Obwohl sie mein Schrubben und Fegen nicht weiter kommentiert hat, habe ich einen Tag, nachdem ich das Geschirr auf dem Büfett geordnet hatte, alle Schüsseln und Teller im alten Durcheinander wiedergefunden. Wenn Abigail arbeitet, geschieht das unter so viel Klappern, Klirren und Krachen, dass ich schon vom Zuhören müde werde.
    Am besten kannst Du Dir Abigails Charakter vielleicht vorstellen, wenn ich Dir sage, dass sie beim Quilten immer in der Naht näht, um ihre schiefen Stiche zwischen den Blöcken zu verstecken. Ich glaube, wir beide haben diese Technik seit unserer Kindheit nicht mehr angewendet!
    Aber das ist gemein von mir. Auch Abigail hat ihren Kummer. Ihr Mann Matthew ist nach langem Leiden an der Schwindsucht gestorben; sie waren bereits drei Jahre verheiratet, doch sie haben keine Kinder. Das muss sehr schmerzhaft für Abigail sein, auch wenn wir natürlich nicht darüber geredet haben.
    Vielleicht liegt alles nur an mir. Seit ich von zu Hause weg bin, fühle ich mich mir selbst fremd. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mein Leben schon damals aus den Fugen geraten, als Samuel mich verlassen hat. Seither sehe ich alles in einem schlechten Licht. Doch trotzdem: Abigail, Adam und ich sind ein seltsames Trio, das nichts anderes verbindet als ein oberflächliches Pflichtgefühl. Weil meine eigene Lage so ungewiss ist, kommt mir vermutlich der ganze Haushalt so provisorisch vor. Nachdem ich zwanzig Jahre lang im sicheren Schoß meiner Familie gelebt habe, ist es befremdend und erschreckend, sich so haltlos zu fühlen.
    Faithwell selbst ist eine winzige, noch nicht besonders gut entwickelte Siedlung. Ich weiß, dass Adam in seinen Briefen nicht bewusst gelogen hat, als er Faithwell als »Stadt« beschrieb, aber übertrieben hat er dabei ganz gewiss. Dabei behaupten die Menschen hier voller Stolz, dass dieser Teil von Ohio bereits gut erschlossen sei und sich in den letzten Jahren ungeheuer viel getan habe. Doch ich habe trotzdem das Gefühl, am Rande der Zivilisation zu leben, wo man der Wildnis mühsam ein paar Häuser abgerungen hat. Du müsstest nur den »Kaufladen« hier sehen! Das Geschäft besteht hauptsächlich aus leeren Regalen, und es gibt fast keinerlei Auswahl. Noch dazu liegt es an einer unbefestigten Fahrspur, durch die keine Kutsche durchkäme. Selbst die robusten Bauernwägen bleiben immer wieder im Schlamm stecken, und wenn sie nicht stecken bleiben, wird man auf ihnen so durchgerüttelt, dass man lieber gleich zu Fuß geht.
    Wenigstens der Andachtsraum von Faithwell ist recht nett, und die Freunde sind liebenswürdig. Trotzdem bin ich in der Andacht

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