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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Gefühl, anders zu sein, gewohnt, und in Amerika war sie ohnehin fast überall eine Außenseiterin. Sie wusste, dass die schwarzen Frauen sich unter ihresgleichen wohler fühlten, so wie sie selbst sich unter Quäkern am wohlsten fühlte. Bei aller Aufgeschlossenheit zog es die Menschen doch immer wieder zu ihresgleichen hin. Und wenn aus einer Familie zwei so unterschiedliche Menschen wie Donovan und Belle Mills stammen konnten, hatten die Schwarzen sicher allen Grund, vorsichtig im Umgang mit Weißen zu sein. Trotzdem spürte Honor einen Stich, als sie jetzt dieselben Frauen, die sich im Kurzwarenladen von Adam Cox so reserviert gegeben hatten, ausgelassen miteinander plaudern sah. Selbst die Ausgegrenzten der Gesellschaft grenzten sie aus.
    Als sie später am Tag Stoffe faltete, hörte Honor ein Räuspern neben sich. »Entschuldigen Sie, Miss. Wie viel kostet der Meter?«
    Neben ihr stand eine Schwarze und betrachtete interessiert den Stoff, den Honor gerade in der Hand hielt: cremefarbene, mit winzigen rostroten Rauten bedruckte Baumwolle. Die Frau war nicht größer als Honor und deutlich älter; ein Netz aus Falten spannte sich über ihre glänzenden Wangen und über ihre Handflächen. Sie trug eine Brille und einen mit Löwenzahnblüten geschmückten Strohhut. Von der Hitze waren die Blumen bereits ganz schlaff geworden und hingen herab.
    Honor blickte sich suchend nach Adam um, doch der war im Hinterzimmer verschwunden. »Moment, ich schaue nach«, sagte sie und freute sich, gefragt worden zu sein. Die Stoffballen waren um flache Holzbretter gewickelt, an deren Stirnende Adam den Preis geschrieben hatte. Honor schob den Stoff zurück und suchte nach der Aufschrift. »Fünfzig Cent der Meter«, verkündete sie.
    Die Frau verzog das Gesicht. »Geht gerade noch.« Sie holte einen leicht vergilbten, aber wunderschön gefertigten Spitzenkragen aus der Tasche und legte ihn auf den Stoff, wo sie ihn mit langen, von hell-ovalen Nägeln gekrönten Fingern glatt strich. »Das passt zusammen?« Es klang nicht wie eine Frage, sondern mehr wie eine Feststellung, und Honor wusste nicht, ob sie darauf antworten sollte. Der Kragen vertrug sich durchaus mit dem Material, aber etwas Feineres wie Seide wäre noch besser gewesen. Allerdings wagte Honor nicht, einen Seidenstoff vorzuschlagen, da dieser viel teurer sein würde.
    Â»Ist es für Sie?«, fragte sie.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Es wird ein Brautkleid für meine Tochter. Sie braucht etwas, das sie später auch noch tragen kann, zum Beispiel in der Kirche.«
    Sie ist wie jede andere Frau und macht sich Gedanken, wie ihre Tochter zur Hochzeit auch in einem praktischen Kleid so gut wie möglich aussehen kann, dachte Honor. »Dann ist dieser Stoff eine gute Wahl«, sagte sie. »Wie viele Meter dürfen es sein?«
    Â»Fünf Meter – ach nein, vier reichen. Sie ist so ein kleines Ding.«
    Honors Hände zitterten. Sorgfältiger als bei allen anderen Kundinnen an diesem Tag maß sie den Stoff ab und schnitt ihn auf die gewünschte Länge. Zum ersten Mal im Leben habe ich einem schwarzen Menschen geholfen, dachte sie, als sie den Stoff in Papier einschlug und das Paket mit Bindfaden umwickelte.
    Honor spürte die Augen der Frau auf sich ruhen und blickte auf. Die Frau musterte die gelbe Krempe von Honors Haube. »Wo haben Sie denn die Haube her? Sicher nicht aus Oberlin, oder?«
    Â»Nein, die ist aus dem Hutladen von Belle Mills in Wellington.« Es hatten sie schon mehrere Frauen auf die Haube angesprochen, und alle waren enttäuscht gewesen, als sie hörten, dass es solche Hauben nur in Wellington zu kaufen gab.
    In den Augen der Frau blitzte Erkennen auf, und sie musterte Honor lange über ihren Brillenrand hinweg. Dann schien sie etwas sagen zu wollen, doch in dem Moment tauchte Adam aus dem Hinterzimmer auf. »Hallo, Mrs Reed. Konnte Honor Ihnen behilflich sein?«
    Mrs Reeds Augen verschwanden wieder hinter der funkelnden Brille. »Jap, konnte sie«, wandte sie sich nun an Adam. »Was ist mit Abigail?«
    Â»Ihr war heute Morgen leider unwohl.«
    Â»So, ihr war unwohl.« Mrs Reed presste die Lippen zu einem Strich und reichte Adam das Geld für den Stoff. Sie hatte ganz eindeutig noch mehr zu dem Thema zu sagen, man sah es nicht nur an ihrem demonstrativ geschlossenen Mund; auch ihr Blick sprach Bände. Doch sie

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