Die englische Freundin
sagte nichts und nahm das Päckchen vom Tisch. »Danke. Einen schönen Tag noch.« Sie drehte sich um und verlieÃ, ohne sich noch einmal umzuschauen, den Laden.
Ernüchtert rollte Honor den Stoffballen auf und legte ihn zurück an seinen Platz. Mrs Reed hatte die Begegnung eindeutig weniger bedeutet als ihr.
Faithwell, Ohio
5. des 7. Monats 1850
Meine lieben Eltern,
ich war auÃer mir vor Freude, als heute Morgen Euer Brief eintraf, der erste seit den Zeilen, die mich bei meiner Ankunft in Faithwell erwartet hatten. Als ich ihn las, konnte ich Eure vertrauten Stimmen hören und mir genau vorstellen, wie Mutter schreibend am Tisch in der Zimmerecke sitzt und hin und wieder einen Blick aus dem Fenster wirft, um zu überlegen, was es noch Neues zu erzählen gibt.
Getrübt wurde meine Freude jedoch durch die schmerzhafte Erkenntnis, dass Ihr immer noch Grace und mich anredet. Selbst jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, werdet Ihr und die Gemeinde noch nicht wissen, dass Grace gestorben ist. Es ist ein ganz eigentümliches Gefühl, dass eine so ernste und wichtige Nachricht Euch erst mit einer Verspätung von fast zwei Monaten erreicht. Und bis mein heutiger Brief bei Euch eintrifft, wird sich vermutlich schon wieder viel Neues ereignet haben. Manches, was ich heute schreibe, gilt vielleicht schon morgen nicht mehr und wurde längst von neuen Ereignissen überholt, bis Ihr es mit Verspätung lest. Ich kann nur hoffen und beten, dass sich bei uns allen in nächster Zeit nicht ständig tragische Dinge zutragen, die unsere Briefe ungültig machen, noch bevor sie ihr Ziel erreichen.
Seit meinem letzten Brief habe ich nach und nach die anderen Einwohner Faithwells kennengelernt, auÃerdem konnte ich Abigail besser zur Hand gehen als in der ersten Zeit. Ich versuche jetzt nicht mehr, alles im Haus zu verändern, denn Abigail nimmt jeden Vorschlag in dieser Richtung als persönliche Kritik. Dabei versuche ich nur, den Haushalt so zu organisieren, dass alles reibungslos läuft, doch Abigail ist äuÃerst empfindlich. Adam hält sich aus allem heraus und bittet mich nur, Abigails Rechte als Hausherrin zu respektieren und mich an ihre Anweisungen zu halten. Darum bleibt mir nichts anderes, als mich zurückzunehmen.
In einem Punkt jedoch konnte ich eine wirkliche Verbesserung erreichen. Abigail arbeitet nicht gerne im Garten â drauÃen ist es unerträglich heiÃ, denn die Sonne scheint hier viel öfter als in England, und die Luft fühlt sich schwer und stickig an. Eigentlich müsste Abigail die amerikanischen Sommer besser ertragen als ich, schlieÃlich ist sie die Hitze von Kindheit an gewöhnt, doch sie wird immer gleich puterrot im Gesicht und jammert so bitterlich, dass sie mir leidtut. AuÃerdem ekelt sie der ständige Kampf gegen alle möglichen Tiere und Insekten. Als ich ihr anbot, den Garten zu übernehmen, hat mich Abigail zum ersten Mal seit meiner Ankunft dankbar angeblickt. Allein dafür nehme ich die Hitze gerne in Kauf.
Im Garten bauen wir viele Gemüsesorten an, die es auch bei Dir gibt, liebe Mutter: Kartoffeln, Bohnen, Karotten, verschiedene Salate und Tomaten. Doch selbst wenn es sich um dieselben Sorten handelt, sind die Früchte hier anders als unser Gemüse daheim. Die Kartoffeln sind gröÃer und haben mehr Augen, die Karotten dünner und spitzer, allerdings genauso schmackhaft. Die Bohnen haben eine glattere Schale, und der Salat wächst hier viel schneller.
Einen GroÃteil des Gartens nimmt der Mais ein. Während wir ihn daheim nur als Viehfutter anbauen, scheint er hier zu den Grundnahrungsmitteln zu gehören und wird sogar noch mehr gegessen als Weizen oder Haferflocken. Man sieht ihn überall. Im Moment ist der Mais im Garten noch nicht reif genug, um ihn frisch zu verzehren, doch man hat mir gesagt, dass er ganz zart und süà schmeckt. Aus Maismehl hergestellte Lebensmittel habe ich allerdings schon mehr als genug gegessen. Abigail besteht darauf, selbst zu kochen, ich darf jedoch das Gemüse für sie waschen, klein schneiden und reiben. Alle ihre Gerichte scheinen auf Mais zu basieren: von dem Brei, den die Amerikaner gern zum Frühstück essen, über das Brot, das zum Essen gereicht wird, den Teig für den selten gegessenen Backfisch bis hin zu den Kuchen, die es zum Kaffee gibt. Aber natürlich beklage ich mich nicht, sondern esse dankbar alles, was auf den
Weitere Kostenlose Bücher