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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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bislang noch nicht zur Ruhe gekommen. Ich weiß nicht, warum das so ist, und es enttäuscht mich sehr, da ich das gemeinsame Schweigen immer als tröstlich empfunden habe. Gerade im Moment müsste mir das aufmerksame Warten in der Gemeinschaft doch nur guttun. Ich weiß, ich muss geduldig sein, dann wird sich wieder eine Tür öffnen.
    Die anderen Familien hier habe ich noch nicht richtig kennengelernt, deshalb weiß ich auch noch nicht, mit wem ich mich anfreunden könnte. Die Frauen sind in allem sehr direkt und schnörkellos: Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und kleiden sich schlicht und sachlich. Die Einfachheit erstreckt sich sogar auf ihren Gang, der eher ein Schlurfen ist und nicht besonders anmutig. Du würdest sicher über sie lächeln. Wenigstens kannst Du Dich in der Gewissheit wiegen, dass es hier keine Rivalin gibt, die jemals Deinen Platz als meine liebste Freundin einnehmen könnte.
    Ich darf meine neue Heimat nicht so kritisieren. Deshalb will ich mit etwas Lustigem schließen: In Ohio bezeichnen sie Quilts als »Steppdecken«!
    Deine treue Freundin,
Honor Bright

Löwenzahn
    Zwei Wochen nach Honors Ankunft bat Adam Cox sie, ihm am Sechsttag im Laden in Oberlin zur Hand zu gehen. Abigail, die normalerweise aushalf, hatte über Unwohlsein geklagt, und an Sechsttagen war in der Stadt immer besonders viel los, da die Läden für die Bauern, die spät von den Feldern kamen, lange geöffnet hatten. Honor freute sich darauf, eine größere Stadt zu sehen, denn die Abgeschiedenheit in Faithwell machte ihr zu schaffen. Außerdem war sie froh, eine Zeit lang von Abigail wegzukommen, die ihr gegenüber immer feindseliger wurde.
    Normalerweise ritt Adam nach Oberlin, wenn er genügend Zeit hatte, ging er sogar zu Fuß; wegen Honor jedoch borgte er sich einen Buggy aus. Genau in dem Moment, als sie am Kaufladen von Faithwell vorbeifuhren, trat Judith Haymaker mit einem Beutel Mehl im Arm aus der Tür. Honor hoffte, dass die Augen der Frau nicht so gut waren, dass ihr die graugelbe Haube auffiel. Seit ihrer Ankunft in Faithwell hatte sie Belles Geschenk nicht mehr angerührt, doch an diesem Tag hatte sie die Haube erstmals wieder aufgesetzt, um für die Arbeit in Adams Geschäft angemessen gekleidet zu sein. Die Haube war zwar schicker als eine Alltagshaube, aber nicht zu auffällig. Außerdem war Honor der Meinung, dass ihre Kleidung eigentlich niemanden etwas anging, solange sie sauber und sittsam war. Trotzdem machte sie sich jetzt Gedanken über die zartgelbe Innenseite der Krempe, deren Widerschein ihr Gesicht so vorteilhaft vom Grau der restlichen Haube abhob. Auch die mehrere Zentimeter breite weiße Borte am Ausschnitt ihres Kleides war ihr plötzlich sehr bewusst. Für Honor betonte dieses Detail die Klarheit und Einfachheit ihrer Kleidung, doch befürchtete sie, dass Judith Haymaker das anders sehen könnte. Selbst Adam hatte erstaunt die Augenbrauen gehoben, als Honor mit der neuen Haube nach unten gekommen war, doch gesagt hatte er nichts.
    Honor nickte der Nachbarin zu. Judith Haymaker nickte kurz zurück, blieb dann aber regungslos stehen und ließ Honor und Adam vorbeifahren.
    Im Osten von Faithwell rückte der Wald wieder näher an die Straße, und Honor musste mehrmals schlucken, um ihre Panik zu unterdrücken. Ob sie sich jemals an die riesigen, eintönigen Waldflächen Ohios gewöhnen würde? Plötzlich vermisste Honor das Meer – nicht den Ozean ihrer Seereise, sondern die Aussicht vom sicheren Strand aus, wo das Meer den Blick auf einen weiten verheißungsvollen Horizont freigab.
    Sobald sie in die Straße eingebogen waren, die, von Norden kommend, nach Oberlin führte, entspannte sich Honor ein wenig, denn es wurde wieder heller. Der düstere Wald zog sich zurück, und sie fuhren an Höfen und Getreidefeldern vorbei. Auf den Weg fiel nun helles Sonnenlicht, und Wildblumen wie Zichorie, Wiesenkerbel und Schwarzäugige Susanne wuchsen an seinen Rändern. Es herrschte auch mehr Verkehr: Vor ihnen waren andere Buggys, Wägen und Reiter in Richtung Oberlin unterwegs, und aus der Gegenrichtung kamen ihnen Reisende in Richtung Wellington entgegen.
    Â»Warum verlaufen hier alle Straßen entweder nordsüdlich oder ostwestlich?«, fragte Honor. Seit sie mit Thomas von Hudson nach Wellington gefahren war, rätselte sie über das vollkommen

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