Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
für weichen Samt und bunte Satinstoffe, wie sie der Tuchladen in Bridport an Nicht-Quä ker verkaufte. Die Stoffe in Adams Geschäft hingegen hätte Honor fast alle selbst tragen können. Auf den Tischen stapelten sich Baumwolle und Chintz, den die Amerikaner Kattun nannten, und ein wenig Damast für Vorhänge. Die farbenfrohsten Materialien waren die Bündel mit Stoffflicken, die Adam für Quilterinnen vorrätig hielt. Für Quilts gab es weder in Oberlin noch bei den Quäkern Beschränkungen, selbst wenn man die für Ohio typischen Rot- und Grüntöne niemals in einem Kleid finden würde.
    Während der ersten Stunde im Laden musste Honor an Adams Seite bleiben, um zu lernen, wie man die Stoffe entlang der Markierungen am Tischrand abmaß, sie kurz einschnitt, dann entlang des Fadenlaufs auseinanderriss und in braunes Papier einschlug, das mit Bindfaden zugebunden wurde. Honor hatte oft genug Stoff gekauft, um mit der Prozedur vertraut zu sein, die in Oberlin nicht anders war als in Bridport. Wenigstens ein paar Dinge waren in England und Amerika gleich. Nachdem Adam sich überzeugt hatte, dass Honor alles richtig machte, durfte sie allein bedienen, während er an der Kasse stand und einen Jungen beaufsichtigte, der den Kunden Scheren und Nadeln schleifte. Adam hoffte, dass dieser neu eingeführte Service das Geschäft beleben würde.
    Honor freute sich, mit neuen Menschen in Berührung zu kommen. Auch wenn ihr das Leben in einer Gemeinschaft von Freunden vertraut war, hatte sie die Einschränkungen ihres Daseins in Faithwell, wo sie Tag für Tag dieselben Gesichter sah, schon bald als sehr eintönig empfunden und sehnte sich nach Abwechslung. In England hatten sich Quäker und Nicht-Quäker mehr vermischt, außerdem liefen in Bridport ständig Schiffe ein und aus, sodass es täglich Neues zu sehen und fremde Gesichter zu entdecken gab. In Adams Kurzwarenladen musterte Honor aufmerksam die Kleidung der Kundinnen und lauschte deren Gesprächen über Politik, das Wetter, die Ernte oder die jüngsten Streiche der Studenten von Oberlin. Sie sah kleine Jungen mit Reifen vorbeilaufen und lächelte einem Mädchen zu, das einen geschnitzten Spielzeughund an einem Seil hinter sich herzog. Einer Kundin, die einen Stoffballen aufrollen wollte, durfte sie das Baby halten, und eine ältere Dame brauchte ein paar Schritte Begleitung zu dem Buggy, der um die Ecke in der College Street auf sie wartete. Endlich hatte Honor das Gefühl, sich nützlich machen zu können und nicht nur der lästige und unerwünschte Gast in Abigails Haus zu sein.
    Unter den stetig strömenden Kundinnen waren auch mehrere schwarze Frauen, die Stoffe, Näh- oder Stecknadeln kauften oder sich die Scheren schleifen ließen. Honor musste sich zusammenreißen, um sie nicht anzustarren. Sie kamen ihr wie exotische Vögel vor, die im Flug vom Kurs abgekommen und unter Spatzen gelandet waren. Für Honor sahen alle schwarzen Frauen gleich aus: braune Haut wie poliertes Eichenholz, hohe Wangenknochen, breite Nasen und dunkle, ernst blickende Augen. Honor wusste nicht, wie sie sich den Frauen gegenüber verhalten sollte, und auch die Frauen schienen sich durch Honors Anwesenheit verunsichert zu fühlen. Nach einem kurzen Blick auf das neue Gesicht im Laden gingen sie gleich zu Adam hinüber und nahmen sogar Wartezeiten in Kauf, wenn er jemand anderen bediente. Waren sie dann an der Reihe, fragten sie ihn nach einem Stoff oder reichten ihm die Scheren und Nadeln, die sie sich von dem Jungen schleifen lassen wollten. Adam schien bei ihnen als sicher zu gelten. Die Frauen wussten immer genau, was sie wollten, entschieden sich schnell, bezahlten und gingen wieder. Mit Adam sprachen sie wenig, mit Honor überhaupt nicht. Niemals hätte eine von ihnen sie gebeten, einen Moment lang ihr Baby zu halten.
    Als es später etwas ruhiger im Laden wurde, machte Honor einen kleinen Spaziergang, um frische Luft zu schnappen. Wenige Meter weiter kam sie an einem Süßwarenladen vorbei, in dem schwarze Frauen in Grüppchen zusammenstanden und miteinander lachten und plauderten. Der Mann hinter der Theke, der Pfefferminz und Raspeleis verkaufte, war ebenfalls schwarz und eindeutig der Ladenbesitzer. Honor staunte. Sie hatte nicht gewusst, dass Neger sogar Geschäfte besaßen. Donovan hatte recht gehabt: Oberlin war radikal.
    Als Quäkerin war Honor das

Weitere Kostenlose Bücher