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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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regelmäßig angelegte Straßennetz Ohios. In England folgten die Straßen den Konturen der Landschaft, die sich nicht an die strengen Vorgaben des Kompasses hielten.
    Adam schmunzelte. »Weil es ohne Probleme möglich ist. Dieser Teil von Ohio ist sehr flach, nichts stellt sich dem Straßenverlauf in den Weg. Bis auf eine scharfe Kurve am Black River ein paar Meilen südlich von hier verläuft die Straße zwischen Oberlin und Wellington neun Meilen lang schnurgerade. Auch die Siedlungen sind mehr oder weniger identisch angelegt und ziehen sich in Abständen von ungefähr fünf Meilen wie ein Netz über das ganze Land.«
    Â»Außer Faithwell.«
    Â»Genau, wir fallen aus dem Raster.«
    Â»Warum sind die Städte so gleichmäßig verteilt?«
    Â»Vielleicht war es ein Versuch der Landvermesser, ein wenig Kontrolle über dieses ungezähmte Land zu erringen.« Nachdenklich hielt Adam inne. »Es ist ganz anders als in Dorset.« Es war das erste Mal, seit Honor bei Adam lebte, dass er Ohio mit ihrer Heimat verglich.
    Bevor sie zum Laden fuhren, drehte Adam mit Honor noch eine Runde durch Oberlin. Das hübsche Städtchen war doppelt so groß wie Wellington und hatte viel mehr zu bieten als Faithwell. Die Häuser wirkten massiver und beständiger, manche waren sogar aus Backstein gebaut. Ein von vier Straßen umgrenzter Platz, auf dem alle Bäume gefällt worden waren, bildete das Stadtzentrum. Die eine Hälfte des Platzes wurde von Schulgebäuden eingenommen, die andere von einer Parkanlage, in der in diagonalen Linien junge Eichen und Ulmen gepflanzt worden waren. Honor tat der Anblick der vertrauten, in geordneten Reihen stehenden Bäume, so anders als das unüberschaubare Dicht an Dicht in den Wäldern um Faithwell, gut.
    In zwei der Straßen am Platz standen ebenfalls Schulgebäude. Honor sah viele junge Menschen in ernsthafter Geschäftigkeit hin und her eilen. Es waren auch Frauen darunter – und Schwarze. »Sind das alles Studenten?«
    Adam nickte. »Oberlins Gründungsväter glaubten ähnlich wie wir Freunde daran, dass alle Menschen gleich sind. Die Stadt war ursprünglich eine religiöse Siedlung, und es herrschten strenge Vorschriften. Noch heute gibt es in ganz Oberlin weder Alkohol noch Tabak zu kaufen.«
    Â»Dann wird sicher auch nicht so viel gespuckt.«
    Â»Genau, gespuckt wird auch nicht«, schmunzelte Adam. »Das Spucken fällt einem richtig auf, nicht wahr? Aber komisch, man gewöhnt sich daran. Mittlerweile bemerke ich es gar nicht mehr, wenn ich in Cleveland bin.«
    Fast alle Geschäfte Oberlins lagen an der Hauptstraße, der Main Street. Im Vergleich zu Faithwell war die Anzahl und Vielfalt der Läden geradezu überwältigend: Honor sah mehrere Lebensmittelgeschäfte, zwei Fleischer, einen Schuster, einen Friseur, einen Zahnarzt, eine Putzmacherin, zwei Buchläden und sogar einen Daguerreotypiekünstler. Auch die Straßen waren besser als in Faithwell, breiter und nicht so ausgefahren, obwohl sie sich bei Regen sicher ebenfalls in Schlammflächen verwandeln würden. Vor den Läden waren bereits vorsorglich Planken für die Fußgänger ausgelegt.
    Verglichen mit dem Geschäft von Adams Brüdern in Bridport, war die Cox’sche Kurzwarenhandlung in der Main Street recht unscheinbar. In Bridport hatten sich die Stoffballen in den offenen Regalen bis unter die Decke gestapelt, und für die Waren in den obersten Fächern gab es eine fahrbare Leiter, die an den Regalen entlanggeschoben wurde. Die Ladenfläche in Oberlin war zwar größer, aber um die wenigen Stoffballen auszulegen, genügten ein paar Tische in der Mitte des Raums. Adams Bruder war es vor seiner Krankheit nicht gelungen, das Geschäft richtig aufzubauen, und in dem einen Jahr, das Adam nun hier war, hatte es sich nur langsam weiterentwickelt. Die strengen moralischen Prinzipien, nach denen Oberlin gegründet worden war, lockten zwar Quäker wie Matthew und Adam an, waren aber womöglich auch der Grund für den begrenzten wirtschaftlichen Erfolg ihrer Geschäfte. Die Einwohner der Stadt lebten nicht nur nach strengen Ernährungs- und Verhaltensregeln, sondern waren auch angehalten, keine Kleidung aus teuren Stoffen zu tragen. Obwohl die Bevölkerung mittlerweile von neuen, weniger prinzipientreuen Siedlern durchmischt war, gab es nach wie vor kaum Nachfrage

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