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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Tisch kommt. Nur schmecke ich überall die süße Gemüsenote von Mais durch, und das Essen kommt mir etwas eintönig vor.
    Im Garten gibt es viel Arbeit für mich. Abigail und Adam haben ihn ordentlich angelegt, doch in der Sommerhitze muss er ständig gegossen werden. Das Unkraut scheint schneller und üppiger zu wachsen als das Gemüse, außerdem habe ich mit Rehen und Kaninchen, Vögeln, Schnecken, Heuschrecken und anderen, mir unbekannten Insekten zu kämpfen. Die amerikanischen Kaninchen graben sich besonders gerissen unter den Zäunen durch, ich bin mir sicher, dass sie viel schlauer sind als ihre englischen Artgenossen. Am liebsten würde ich nachts draußen beim Gemüsebeet schlafen, um sie zu verscheuchen. Seit Abigail mir die Verantwortung für den Garten übertragen hat, kommentiert sie meine Methoden sehr kritisch, ohne selbst nützliche Vorschläge zu machen. Das kann sehr anstrengend sein. Der Mais braucht zum Glück wenig Aufmerksamkeit, worüber ich sehr froh bin, da ich jedes Mal, wenn ich an den Reihen vorbeigehe, ein paar Schlangen aufscheuche. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Schlangen gesehen, oft muss ich an mich halten, um nicht laut loszukreischen. Die meisten sind zwar harmlos, trotzdem gibt es genügend giftige Arten, um auf der Hut zu sein.
    Hier in Amerika sagt man, der Mais müsse »bis zum 4. Juli kniehoch stehen«. Unser Mais geht mir jetzt schon weit übers Knie, deshalb dachte ich anfangs, dass er außergewöhnlich gut gedeiht. Doch dann sagte man mir, es sei das Knie eines Reiters zu Pferd gemeint. Es gibt so viele Wörter und Ausdrücke, die ich nicht verstehe, dass ich mich manchmal frage, ob das amerikanische Englisch vielleicht eine Fremdsprache wie das Französische ist.
    Gestern war der 4. Juli. Für die Amerikaner ist das ein besonderes Datum, denn sie sind sehr stolz darauf, jetzt von England unabhängig und ein eigenes Land zu sein. Ich war gespannt auf diesen Tag, denn ich hatte gehört, dass er an vielen Orten gefeiert wird. In Faithwell oder Oberlin gab es allerdings keine Festlichkeiten, weil wir damit ja die Unabhängigkeitserklärung gutheißen würden, in der Neger nicht wie gleichberechtigte Bürger behandelt werden. Stattdessen haben sich einige Freunde aus Faithwell zum Collegegelände von Oberlin aufgemacht, um sich dort die Reden zur Abschaffung der Sklaverei anzuhören. Auch ich war mit dabei, und es gab ein Picknick, das aber nur Hunger und Durst stillen sollte und keine festliche Angelegenheit war. Im nördlichen Ohio sind die meisten Menschen gegen die Sklaverei, und Oberlin steht in dem Ruf, von allen Städten der Gegend am entschiedensten gegen sie vorzugehen.
    Zum Glück war es gestern ausnahmsweise einmal nicht zu heiß, es wehte eine angenehm frische Brise. Auf den aufgebockten Tischen im Park lagen ungeheure Essensmengen ausgebreitet. Die Amerikaner nehmen ihre Picknicks sehr ernst. Während wir zu Hause einfach ein wenig Proviant mitnehmen, hält man es hier für wichtig, so viel wie möglich aufzutischen und zu essen. Niemals hätte ich gedacht, dass die Freunde aus Faithwell einen Hang zur Übertreibung haben könnten. In ihrer Kleidung und ihrem Betragen sind sie genauso schlicht und bescheiden wie die Freunde in Bridport, doch bei diesem Picknick haben sie viel mehr aufgetischt – vor allem Backwerk –, als wir jemals hätten essen können. Die Einwohner Oberlins scheinen es ähnlich üppig zu lieben, wovon ich mich überzeugen konnte, als ich mit Abigail einen kleinen Spaziergang über den Platz machte. Noch nie im Leben habe ich so viele verschiedene Kuchen gesehen!
    Ein interessanter Anblick war für mich eine Gruppe von Negern, die ebenfalls beim Picknick saßen. Auch wenn meine Reise nach Ohio mich nur durch Staaten führte, in denen die Sklavenhaltung verboten ist, haben die wenigen Schwarzen, die ich sah, doch immer schwer gearbeitet. Sie waren auf den Docks beschäftigt, arbeiteten für die Postkutschen oder in den Küchen und Ställen der Gasthäuser. Müßiggänger sind mir nie zu Gesicht gekommen. Deshalb habe ich mir die Gruppe genau angeschaut – natürlich nur aus den Augenwinkeln, ich habe sie nicht offen angestarrt – und herausgefunden, dass sich die Schwarzen gar nicht so sehr von uns unterscheiden. Ihr Picknick war jedenfalls mindestens genauso umfangreich, auch

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