Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
als fressen und verdauen, aus dem Weg gehen können. Nur dem Tiergestank entkam sie auch in Haus und Garten nicht.
    Jedes Mal, wenn sich Honors Leben veränderte, war ihr das, was vorher war, plötzlich lieb und teuer: Erst hatte sie Bridport nachgetrauert, dann den Hüten und Hauben von Belle Mills, und jetzt vermisste sie den Cox’schen Kurzwarenladen. Doch es hatte keinen Sinn, darüber zu grübeln, welche anderen Richtungen ihr Leben hätte nehmen können. Sie musste sich mit dem Gegebenen arrangieren. Honor war aufgefallen, dass die Amerikaner nie über die Vergangenheit oder andere Lebensentwürfe nachzudenken schienen. Die meisten waren aus England, Irland oder Deutschland ausgewandert und Umzüge und Veränderungen gewohnt. Die Bewohner Ohios kamen aus den Südstaaten, aus New England oder Pennsylvania, manche sahen Ohio auch nur als Zwischenstation auf dem Weg in den Westen. Seit Honor vor drei Monaten in Faithwell angekommen war, hatten bereits zwei Familien beschlossen, nach der Ernte weiter in Richtung Westen zu ziehen. Ihr Platz würde sicher bald von anderen, die aus dem Süden oder Osten kamen, eingenommen werden. Die Häuser standen nie lange leer. Ohio war ein unruhiger Staat, alles bewegte sich in Richtung Norden oder Westen. Auch in Faithwell und Oberlin spürte man diese Unruhe. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, was aber außer Honor niemanden zu stören schien.
    In der Stadt trennten Jack und Honor sich. Er fuhr zum Schmied, und sie ging in den Kurzwarenladen, um Hallo zu sagen und nach Stoff für einen neuen Quilt zu suchen, den sie für Dorcas machen wollte. Vorne an der Ladentür saß der Junge und schliff eine Schere; er blickte kaum auf, als Honor eintrat. Adam bediente gerade die einzige Kundin im Laden: Mrs Reed. An diesem Tag hatte sie ihren Hut mit Schwarzäugiger Susanne geschmückt. Honor nickte den beiden zu und trat aus alter Gewohnheit an einen Tisch, um Stoffe zu falten und auf Ballen zu wickeln. Als sie über das Meer an bunten Stoffen blickte, fiel ihr die abendliche Diskussion mit den Haymakers ein. Honor liebte Stoffe mit ihrer Vielfalt an Webarten, Mustern und Strukturen über alles. Jeder Stoff steckte für sie voller Möglichkeiten: Wenn ihr ein Material gefiel, überlegte sie immer gleich, was sie daraus herstellen könnte. Doch jetzt hatte die Baumwolle für sie ihre Unschuld verloren, denn die meisten Stoffe waren von der Sklaverei befleckt und auf unredliche Weise produziert worden. Jack hatte recht: Es war schwer, einen Stoff zu finden, der frei von diesem Makel war, aber wenn sie konsequent auf alle Baumwollstoffe verzichten würde, könnte sie in der Hitze Ohios nur Wolle tragen oder nackt herumlaufen.
    Â»Ich gehe nur schnell nach nebenan, um Wechselgeld zu holen«, sagte Adam zu Mrs Reed. »Honor, kümmerst du dich bitte einen Moment lang um den Laden?«
    Â»Natürlich.«
    Während sie auf Adam warteten, faltete Honor weiter Stoffe, und Mrs Reed ging um die Tische herum und strich über den einen oder anderen Ballen.
    Â»Darf ich Sie etwas fragen?«, traute sich Honor schließlich.
    Mrs Reed runzelte die Stirn. »Was denn … Ma’am?« Honor trug keinen Ehering, weil Freunde dieses Zeichen der Verbundenheit nicht brauchten. Trotzdem schien Mrs Reed zu wissen, dass sie verheiratet war.
    Â»Bitte nennen Sie mich Honor. Wir Quäker benutzen keine Anreden wie ›Ma’am‹ oder ›Miss‹.«
    Â»Gut, Honor, was wollen Sie denn wissen?«
    Â»Was halten Sie von der Kolonisation?«
    Mrs Reed blieb einen Moment lang der Mund offen stehen. »Was ich von der Kolonisation halte?«, wiederholte sie.
    Honor sagte nichts. Sie bedauerte bereits, die Frage gestellt zu haben.
    Mrs Reed rümpfte die Nase. »Sind Sie Abolitionistin? Viele Quäker sind gegen die Sklaverei.« Sie schaute sich im leeren Laden um und schien zu einer Entscheidung zu kommen. »Die Abolitionisten haben viele schöne Theorien, aber ich lebe in der Wirklichkeit. Was soll ich in Afrika? Ich bin in Virginia geboren worden, genauso wie meine Eltern, Großeltern und deren Eltern. Ich bin Amerikanerin, ich halte überhaupt nichts davon, dass wir alle an einen Ort verfrachtet werden sollen, zu dem die meisten von uns keinerlei Beziehung haben. Wenn die Weißen uns auf Schiffe schicken und loswerden wollen, kann ich nur sagen: Nicht mit mir. Dies ist

Weitere Kostenlose Bücher