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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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meine Heimat, und ich gehe nirgendwo anders hin.«
    Plötzlich stand Adam neben Honor. »Gibt es ein Problem, Mrs Reed?«
    Â»Nein, Sir, alles in Ordnung.« Mrs Reed hielt ihre Hand auf, um das Wechselgeld entgegenzunehmen, und nickte ihm zu. »Guten Tag.« Sie verließ den Laden, ohne Honor noch eines Blickes zu würdigen.
    Â»Honor, du darfst niemals mit Kunden über Politik reden«, ermahnte Adam sie mit leiser Stimme. »Auch wenn die Amerikaner ständig über Politik reden, müssen wir Quäker unsere Neutralität wahren.«
    Honor nickte und kämpfte mit den Tränen. Es kam ihr vor, als hätte man ihr gleich zweimal ins Gesicht geschlagen.
    Einige Tage nach dem Ausflug nach Oberlin gingen Honor und Dorcas zu den Büschen am Rand des Wielandwaldes, um die letzten Brombeeren der Saison zu pflücken. Obwohl es immer noch sehr warm war, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, war die schlimmste Sommerhitze vorbei, und die Abende wurden bereits kühler.
    Honor fand ihre Schwägerin ähnlich kompliziert wie Abigail. Dorcas machte sich über Honors englischen Akzent lustig, empfand Hilfsangebote als Beleidigungen und bemühte sich nie, Honor in ein Gespräch mit einzubeziehen. Honor versuchte das Verhalten ihrer Schwägerin zu verstehen. Sicher war es schwer, eine Fremde im Haus zu haben, wegen der sich eingespielte Routinen und Gewohnheiten ändern mussten; außerdem hatte Dorcas damit gerechnet, dass ihre Freundin diesen Platz einnehmen würde. Stattdessen hatten sich Honors Vorahnungen erfüllt, und Caroline hatte vor Kurzem verkündet, sie wolle in den Westen gehen. Dass Honor vor einer Woche aus dem Krankenzimmer zu Jack gezogen war, entspannte das Verhältnis zwischen den Schwägerinnen auch nicht gerade. Das Eheschlafzimmer befand sich direkt neben dem Zimmer von Dorcas, die sicher hörte, was dort nächtens vor sich ging. Obwohl Honor und Jack sich Mühe gaben, leise zu sein, bebten Bett und Wand im Rhythmus ihrer Liebe. Außerdem stöhnte Jack manchmal verhalten. Nachdem Honor den ersten Schock darüber überwunden hatte, welche Ansprüche Jack auf ihren Körper erhob, begann sie ihre gemeinsamen Nächte zu genießen.
    Doch wenn Dorcas mit Honor allein war und sie weder ihrer Mutter noch sonst jemandem etwas beweisen musste, war sie freundlicher. Als sie sich gemeinsam über die Brombeerbüsche beugten, begann sie mit Honor zu plaudern. Fröhlich erklärte sie, dass sie möglichst viele Brombeeren pflücken müssten, damit sie genügend Kuchen für das nächste Quiltkränzchen backen könnten. Es würde das vorerst letzte Quiltkränzchen sein, denn die Maisernte stand bevor, außerdem mussten Obst und Gartengemüse eingemacht werden. Brombeeren zu pflücken war ein Luxus, für den sie bald keine Zeit mehr haben würden.
    Auch die Brombeeren in Ohio unterschieden sich von ihren Verwandten in England. Sie waren größer und süßer, aber trotzdem nicht so schmackhaft, da die Süße den Fruchtgeschmack völlig überlagerte. Honor hatte gehofft, die Haymakers mit einem Brombeermus überraschen zu können, für das man die Beeren durch ein Sieb strich und zu einer dicken Paste verarbeitete, die den nussigen Geschmack besonders deutlich hervorbrachte. Mittlerweile hegte sie jedoch den Verdacht, dass die amerikanischen Beeren sich besser für Marmelade oder Likör eigneten.
    Honor hatte dem Geplapper ihrer Schwägerin nur mit hal bem Ohr zugehört, doch als Dorcas plötzlich verstummte, blickte sie auf. Dorcas stand stocksteif da, die Arme starr an den Seiten und die Finger gespreizt. Ein Schwarm Wespen schwirrte um sie herum. Noch bevor Honor reagieren konnte, schienen die Wespen sich wie auf ein Kommando hin zum Angriff zu entschließen und fielen über Dorcas her. »Autsch!«, schrie diese auf und begann dann laut zu kreischen. Ihr Gesicht schwoll an. »Scheuch sie weg! Honor, hilf mir!«, schrie sie und schlug gegen ihren Rock.
    In Dorset, das durch jahrhundertelange Besiedelung kultiviert worden war, hatte Honor beim Spazierengehen nie etwas Schlimmeres erlebt als ein paar Brennnesselstiche. In Amerika jedoch war die Landschaft wilder, unzivilisiert und voller Gefahren und plötzlicher Bedrohungen, denen die Menschen pragmatisch begegneten: Sie gruben Sturmkeller gegen Tornados, erschossen Bären und legten Feuer, um Raupen

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