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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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auszuräuchern. Belle hatte die Kupferkopfschlange in ihrem Garten erschossen, als sei das etwas völlig Alltägliches, wie wenn Honor nach einer Fliege schlug oder Kaninchen aus dem Gemüsebeet jagte. Honor wusste, dass sie jetzt beherzt handeln musste, doch auch wenn sie einmal als Kind gestochen worden war, hatte sie es noch nie mit so vielen Wespen gleichzeitig zu tun gehabt. Was sollte sie tun? Als die Wespen kurz von Dorcas abließen, hatte Honor die Geistesgegenwart, ihre Schwägerin am Arm zu packen und von dem Nest wegzuziehen, auf das sie getreten war. Die Wespen verfolgten sie noch eine Weile, eine stach Honor in den Arm.
    Als sie unschlüssig stehen blieb, hörte Honor hinter sich eine leise Stimme. »Bring sie zum Bach, zieh sie aus und lass sie im Wasser untertauchen. Und dann Lehm auf die Stiche schmieren.«
    Honor schaute sich um. Hinter den Brombeerbüschen hockte ein junger Schwarzer, dessen Augen zwischen Honor und Dorcas hin und her wanderten. Dorcas’ Gesicht war mittlerweile so angeschwollen, dass sie nichts mehr sehen konnte. Der Mann schwitzte vor Angst und Hitze und schien jeden Moment flüchten zu wollen.
    Â»Bach?«, flüsterte Honor.
    Â»Der Bach da drüben.« Der Mann deutete mit der Hand in den Wielandwald. »Von kaltem Wasser und Lehm schwellen die Stiche ab.« Einen kurzen Moment lang blickte er Honor an, der Ausdruck in seinen Augen war lebendig, ernst und ängstlich zugleich. »Können Sie mir sagen, in welche Richtung ich laufen muss? Ohne den Nordstern als Orientierung habe ich mich verirrt.«
    Honor zögerte und dachte an das, was Jack ihr geraten hatte. »Oberlin ist drei Meilen in die Richtung«, erwiderte sie dann und deutete ihm den Weg. »Sie können dort jeden Neger nach Mrs Reed fragen. Sie wird Ihnen helfen.« Das war frei erfunden, doch Honor ging davon aus, dass Mrs Reed den jungen Mann nicht abweisen würde.
    Er nickte, und dann lächelte er. Als Honor seine Zähne weiß aufblitzen sah, kam es ihr vor, als würden sie draußen im Wald Verstecken spielen. Sie war so verblüfft, dass sie zurücklächelte. Der Mann rannte los durch die Bäume in Richtung Oberlin und Freiheit, und Honor blickte ihm nach. Sie wünschte, sie hätte ihm etwas zu essen mit auf den Weg geben können.
    Honor atmete tief durch, dann lief sie, Dorcas hinter sich herziehend, in den Wald und in die Richtung, die der Mann angegeben hatte. Seit sie mit Thomas von Hudson nach Wellington gefahren war, hatte sie keinen Wald mehr betreten, doch jetzt schritt sie beherzt über den weichen feuchten Boden und durchs Unterholz. Nesseln stachen ihre Beine, und Dornengestrüpp kratzte an ihr; doch von innen wirkte der Wald gar nicht mehr so dicht und bedrohlich. Außerdem hatten sie ein Ziel.
    Sie stießen auf eine Gruppe Buchen, zwischen denen das Vorankommen leichter war, und fanden kurz darauf den Bach. »Du musst dich ausziehen. Komm, ich helfe dir.« Honor knöpfte Dorcas das Kleid auf und half ihr aus dem Petticoat. Aus allen Kleiderschichten fielen Wespen, manche zerdrückt, andere setzten erneut zum Angriff an, während Honor sie wegzuscheuchen versuchte. Ohne Kleider sah Dorcas dünn und verletzlich aus: Ihre Hüftknochen standen vor, die Schulterblätter glichen Hühnerflügeln, und der Kopf über dem schmalen Körper wirkte viel zu groß. Dorcas’ Arme, Beine und der Rumpf waren von Stichen übersät. Sie erinnerte Honor an eine vom Stallwinter abgemagerte Kuh, die von ihrer Herde getrennt worden war und nun allein und verunsichert auf der Weide stand.
    Â»Komm, du musst ins Wasser«, wies Honor sie an.
    Â»Das ist so kalt!« Kreischend wälzte Dorcas sich im flachen Wasser. Honor kniete sich vor sie, schaufelte mit den Händen Schlamm vom Bachgrund zusammen und strich ihn über Dorcas’ Rücken und Arme. Dorcas begann wieder zu weinen, diesmal mehr vor Scham als vor Schmerz. »Ich will nach Hause«, schluchzte sie.
    Â»Gleich. Halte still.« Als Honor den Matsch in Dorcas’ Gesicht schmierte, musste sie sich ein Lächeln verkneifen. Dorcas erinnerte sie an die Zeichnungen, die sie von australischen Eingeborenen gesehen hatte.
    Wasser und Lehm halfen, ganz wie der Mann gesagt hatte. Die Schwellungen gingen zurück, und nach ein paar Minuten stieg Dorcas aus dem Wasser. Honor half ihr beim Ankleiden, obwohl sie beide zögerten, die Kleider

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