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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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mitgeschickt.
    Am nächsten Morgen nahm Jack seine Frau nach dem Melken mit in den Wielandwald, um den Ahornsaft zu ernten, der in der Nacht aus den Baumstämmen getropft war. Der Saft musste schon frühmorgens geholt werden, da es einen ganzen Tag dauerte, bis er zu Sirup eingekocht war. Honor freute sich, eine Weile mit ihrem Mann allein sein zu können, was sie sonst fast nur im Bett waren. Der Winter hatte die Haymakers auf so engem Raum zusammengepfercht, dass Honor manchmal vor Verzweiflung hätte schreien können. Jetzt sehnte sie sich danach, mit Jack zusammen zu sein, ohne dass sich ständig Judith und Dorcas zwischen sie drängten. Wenigstens hatte es in letzter Zeit keine Überraschungsbesuche von Donovan mehr gegeben, sonst wären die Spannungen sicher unerträglich geworden. Wie Mrs Reed vorausgesagt hatte, waren im Winter weniger Flüchtlinge unterwegs gewesen. Dieser Umstand und der tiefe Schnee hatten Donovan ferngehalten.
    Honor und Jack arbeiteten zusammen im Wald. Sie gingen von Baum zu Baum und schütteten den Saft aus den Auffanggefäßen, die unter den Ausflussrohren in den Baumstämmen hingen, in die mitgebrachten Eimer. Die Kälte hatte dem Wielandwald etwas von seiner wild wuchernden Bedrohlichkeit genommen. Die Bäume waren kahl, und das dichte Gestrüpp des Unterholzes war abgestorben und zusammengeschrumpft, sodass sich Honor zwischen den Bäumen nicht mehr ganz so beklommen fühlte. Nachdem sie eine Weile einträchtig geschwiegen hatten, beschloss Honor, Jack etwas zu erzählen, worüber er sich bestimmt freuen würde. Solange es so kalt gewesen war, hatte sie es für sich behalten, doch das Tauwetter hatte auch in ihr etwas zum Schmelzen gebracht. »Jack«, begann sie, »ich …«
    In dem Moment trat ein Schwarzer hinter einer Bur-Eiche hervor. Jack und Honor sprangen erschrocken zur Seite.
    Â»Ich wollt Sie nicht erschrecken, Sir, Ma’am«, sagte der Mann. Er nahm den Hut ab und kratzte sich den zotteligen Bart. »Hab gehört, hier gäb es Quäker, die sich um einen kümmern, wenn man Hilfe braucht.«
    Â»Wir sind nicht …«
    Â»Sie sind schon fast in Oberlin«, unterbrach Honor ihren Mann. »Es sind nur noch drei Meilen in diese Richtung.« Sie deutete in Richtung Norden. »In Oberlin müssen Sie in die Mill Street gehen, die zweite Straße rechts von der Main Street. Dort, wo die Mill Street den Pflaumenbach überquert, steht ein rotes Haus. Halten Sie nach einer Kerze im hinteren Fenster Ausschau – wenn sie brennt, wird man Ihnen helfen.«
    Jack schaute seine Frau verblüfft an.
    Der Mann nickte. »Danke.« Er zog sich den Hut über die Ohren und wickelte den knopflosen Mantel fester um sich, dann rannte er in die Richtung davon, die Honor ihm gezeigt hatte.
    Jack funkelte Honor wütend an. »Woher weißt du das alles?«
    Honor konnte ihm nicht in die Augen sehen und betrachtete deshalb angestrengt die klare Flüssigkeit in ihrem Eimer. Erst nach stundenlangem Kochen würde der helle Ahornsaft sich in braunen Sirup verwandeln.
    Â»Wir wissen, dass du Essen draußen versteckst, aber dass du auch mit ihnen redest und ihnen derart genaue Anweisungen gibst, hätten wir nicht gedacht. Und mit Leuten von der Underground Railroad scheinst du auch in Kontakt zu stehen.«
    Honor blickte auf. »Du wusstest, dass ich Essen verstecke?«
    Â»Natürlich. Einem Bauern kann man so leicht nichts vormachen. Hast du etwa auch entflohene Sklaven versteckt?«
    Â»Ein paar Mal.«
    Â»Ich hab’s mir schon gedacht.«
    Â»Warum hast du dann nie etwas gesagt?« Honor fühlte sich fast erleichtert, dass nun alles heraus war.
    Â»Mutter wollte sich natürlich sofort einmischen. Sie war wütend, dass du nicht auf uns gehört hast. Du hast riskiert, dass wir alle bestraft werden! Und dann hast du noch diesen Sklavenjäger angelockt.« Jack nahm den größeren Eimer und ging zum nächsten Baum. »Aber ich habe sie gebeten, dich weitermachen zu lassen.«
    Honor folgte ihm. »Warum?«
    Jack nahm das Auffanggefäß vom Hahn und kippte den Saft in den Eimer. Dann blickte er Honor ernst und traurig an. »Weil ich dachte, dass es dich glücklich machen würde. Ich wusste, dass du es nicht bist, und ich dachte, wenn du deinen Grundsätzen treu bleiben kannst, bist du vielleicht auch froh, mich geheiratet zu haben.«
    Honor

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