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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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starrte ihn an. Jack hatte ihr eine Freude machen wollen? Niemals hätte sie gedacht, dass ihm ihr Glück so wichtig war. Sie holte tief Luft und streckte die Hand aus, aber er war schon zum nächsten Baum weitergegangen. Sie wusste, dass sie jetzt endlich etwas sagen sollte –, sie musste ihm die freudige Nachricht mitteilen –, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Der richtige Moment war verstrichen, und Jack kehrte ihr nun demonstrativ den Rücken zu.
    Als sie alle Gefäße geleert hatten, trugen Honor und Jack den geernteten Ahornsaft zurück zum Hof. Jack hatte einen provisorischen Schuppen errichtet, in dem der Saft eingekocht werden sollte. Im Haus konnte man den Sirup schlecht herstellen, weil dabei so viel Feuchtigkeit entstand. Judith und Dorcas hatten bereits ein Feuer gemacht, über dem ein gusseiserner Topf hing. Sie würden sich den Tag über beim Rühren abwechseln, bis der Saft sich in einen dicken dunklen Sirup verwandelt hatte.
    Honor hatte gehofft, dass Jack ihre Begegnung mit dem Schwarzen für sich behalten würde. Doch als sie auf dem Hof ankamen, erzählte er sofort, dass sie im Wielandwald einen entlaufenen Sklaven gesehen hätten. Noch dazu wiederholte er Wort für Wort, was Honor zu dem Mann gesagt hatte.
    Judith Haymaker nahm ihrem Sohn den Eimer ab. Sie blickte erst ihn an und dann Honor. »Jetzt muss Schluss sein mit dem Unsinn«, sagte sie an Honor gewandt, während sie den Ahornsaft aus dem Eimer in den Kessel goss. »Ich habe Jack lange genug nachgegeben, aber sicher ist er jetzt meiner Meinung: Du musst nicht nur an das Risiko für unseren Hof denken, sondern auch an euer Kind. Es wäre ihm gegenüber nicht fair, wenn es den Hof nicht mehr gäbe, bis es auf die Welt kommt.«
    Honor wurde rot.
    Â»Was?« Jack blieb der Mund offen stehen.
    Judiths angedeutetes Lächeln wurde etwas breiter, wenn auch nicht wärmer. »Honor, hast du etwa gedacht, ich würde nichts merken? Man sieht es dir im Gesicht an und in deinen Bewegungen.« Sie wandte sich an Jack. »Du bist ein Mann, dir fällt so etwas nicht auf. Ich wollte warten, bis Honor es dir selbst sagt. Es tut mir leid, dass es jetzt anders gekommen ist, aber du musst es wissen, damit du deiner Frau erklären kannst, wie viel sie aufs Spiel setzt, wenn sie nicht mit diesen Dummheiten aufhört.«
    Jack wandte sich an Honor. »Stimmt das? Bist du schwanger?«
    Honor nickte.
    Jacks Wut schmolz dahin wie der Schnee in der Sonne. Er umarmte Honor. »Ich freue mich.«
    Â»Du musst mir versprechen, dass du den entlaufenen Sklaven nicht mehr hilfst«, fuhr Judith fort. »Es ist gegen das Gesetz, und es ist gefährlich. Wir Haymakers werden es nicht mehr tolerieren. Wir haben bereits genug mitgemacht.«
    Â»Was … was meinst du damit?«
    Die Haymakers sahen sich an. Schließlich seufzte Judith. »Damals in North Carolina haben wir einen entlaufenen Sklaven versteckt. Wir mussten eine so hohe Geldstrafe zahlen, dass es uns den Hof gekostet hat. Es hat nämlich schon Strafen gegeben, bevor das Fugitive Slave Law in Kraft trat, und dieses neue Gesetz ist noch strenger und härter.«
    Â»Seid ihr deshalb nach Ohio gezogen?«
    Â»Ja«, sagte Jack. »Nach allem, was geschehen war, haben wir es dort nicht mehr ausgehalten.«
    Â»Ich dachte immer …« Honor unterbrach sich. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um Jack an seine Behauptung zu erinnern, sie seien wie die meisten Quäkerfamilien in Faithwell aus dem Süden weggezogen, weil sie ihren Überzeugungen treu bleiben wollten. Vielleicht waren der Verlust von Geld und Land ein wesentlich stärkeres Motiv als moralische Grundsätze.
    Dorcas rührte immer schneller und schneller im Ahornsaft. Ihr Gesichtsausdruck war finster. »Eins hat Mutter nicht gesagt«, begann sie, aber als Judith den Kopf schüttelte, unterbrach sie sich. »Bin ich eigentlich die Einzige, die hier rühren muss?«, fragte sie schließlich. »Honor wird es sich in ihrem Zustand sicher nicht zumuten wollen.«
    Â»Unsinn, sie ist keine zerbrechliche Porzellanvase«, sagte Judith. »Wir werden uns abwechseln. Also, Honor, versprich uns, vorbeiziehenden Sklaven in Zukunft nicht mehr zu helfen.«
    Â»Na gut«, versprach Honor schweren Herzens.
    Â»In Ordnung. Dann kannst du jetzt den Saft rühren. Dorcas, gib Honor den Löffel.«

Faithwell, Ohio
    27.

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