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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Stück Brot und ’n bisschen Milch von einer eurer Kühe dort, dann bin ich wieder weg.«
    Â»Warten Sie.« Digger hinter sich herziehend, lief Honor in die Küche. Judith und Dorcas waren zum Glück zum Kaufladen gegangen, und Jack war beim Milchausfahren. Sie sperrte Digger im Haus ein. Während sie ein Stück Brot und eine Scheibe Käse abschnitt und Milch in den Blechbecher goss, versuchte Honor, Argumente zu finden, die sie Judith gegenüber vorbringen konnte: Ich verstecke sie nicht, ich gebe ihr nur etwas zu essen. Ich behandele sie genauso, wie ich jeden anderen Passanten, der um etwas bittet, behandeln würde.
    Honor sah der Frau beim Essen zu, behielt aber gleichzeitig den Fahrweg im Auge. Die Alte hatte nur noch wenige Zähne, deshalb kaute sie lange auf Brot und Käse herum. Nachdem sie den Becher geleert hatte, schmatzte sie mit den Lippen. »Gute Milch. Ihr habt gute Kühe.« Sie erhob sich und zurrte die Lumpen, die sie sich in Ermangelung von Schuhen um die Füße gebunden hatte, fest. »Danke«, sagte sie dann und bürstete sich die Krümel vom Kleid.
    Â»Wissen Sie, wo Sie hinmüssen?«
    Â»Aber ja doch. In den Norden.« Die Frau deutete in Richtung Wald und verschwand.
    Beim Abendessen wartete Honor, bis eine Pause eintrat, und beruhigte ihren nervösen Magen zunächst mit ein paar Schlucken Wasser. »Heute ist eine entlaufene Sklavin auf den Hof gekommen«, erklärte sie. »Es war eine alte Frau«, fügte sie hinzu, in der Hoffnung, diese Information könne die Sklavin als besonders bedürftig erscheinen lassen. »Ich … ich habe ihr ein wenig Brot und Käse und einen Schluck Milch gegeben. Dann ist sie wieder gegangen.«
    Schweigen. »Wir haben über dieses Thema geredet«, sagte Judith schließlich. »Du hattest versprochen, den entlaufenen Sklaven nicht mehr zu helfen.«
    Honor schluckte. »Ich weiß. Aber es ist schwer, einem Menschen etwas abzuschlagen, der so flehend um etwas zu essen bittet, wie die Frau es getan hat. Außerdem hätte ich es für jeden anderen, der auf der Straße unterwegs ist und am Hof vorbeikommt, genauso gemacht. Ich habe keinem Flüchtling geholfen, sondern war einfach nur höflich.« Ihre einstudierten Argumente klangen lahm und überzeugten sie selbst nicht.
    Judiths Miene verhärtete sich. »Mit dieser Logik hätte dein Sklavenjäger, dieser Donovan, sicher Mühe. In Zukunft holst du mich, wenn du es selbst nicht schaffst, die Farbigen wegzuschicken.«
    Doch als der nächste Flüchtling auf den Hof kam, brachte Honor es nicht übers Herz, Judiths Angebot wahrzunehmen. Sie hatte das seltsame Gefühl, die Sklaven vor dem lächelnden Mund und den kalten Augen ihrer Schwiegermutter beschützen zu müssen. Sie selbst würde die Zurückweisung wenigstens sanfter formulieren. »Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht verstecken«, sagte sie zu dem hellhäutigen Mann, der einige Tage nach der alten Frau auf den Hof kam. Sie wählte das Wort »verstecken«, weil es nicht ganz so endgültig klang wie »nicht helfen« und immer noch die Hoffnung barg, dass Honor auf irgendeine Weise doch noch etwas für den Flüchtling tun könne. Sie ging dazu über, immer ein wenig Dörrfleisch in der Schürzentasche zu haben, sodass sie den beiden Jugendlichen, die als Nächstes kamen, wenigstens etwas zu essen reichen konnte. Die Geste linderte höchstens Honors Schuldgefühle, aber nicht den Hunger der beiden Jungen.
    Doch dann kam der Tag, an dem Honor ihre einstudierten Worte nicht mehr weiterhalfen. Als sie an einem Frühlingsmorgen nach dem Melken mit Dorcas über den Hof lief, hörten sie aus dem Wielandwald ein Geräusch, das wie Babygeschrei klang. Sie blieben stehen und lauschten. Da hörten sie es wieder, Schreie wie von einem Baby, wenn auch gedämpft, als versuche jemand, es zum Schweigen zu bringen.
    Honor trat zwischen die Bäume, an denen die grünen Blattknospen kurz davor waren, sich zu öffnen. »Du hast doch nicht etwa vor, da reinzugehen und nachzuschauen«, schimpfte Dorcas hinter ihr her. »Hast du nicht verstanden, was Mutter gesagt hat?«
    Â»Vielleicht ist es ja kein entflohener Sklave. Es könnte auch jemand sein, der sich verirrt hat.«
    Im Gebüsch hockte eine zierliche Frau, die ein Baby an die Brust drückte. Sie war selbst fast noch ein

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