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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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des 2. Monats 1851
    Liebe Mutter, lieber Vater,
    ich habe Neuigkeiten für Euch und für den Rest der Familie: Ich erwarte ein Kind. Ich habe es schon länger vermutet, doch ich wollte es Euch erst mitteilen, wenn ich mir ganz sicher bin. Wann genau das Baby kommen wird, kann ich nicht sagen, aber ich denke, es wird im 9. oder 10. Monat des Jahres sein. Die Haymakers freuen sich natürlich, obwohl Judith bereits angemerkt hat, dass ich ihnen hochschwanger oder stillend wieder keine Hilfe bei der Ernte sein werde.
    Das Baby macht mich etwas müde, aber sonst geht es mir gut. Ich bin von der Übelkeit verschont geblieben, unter der viele Frauen im ersten Stadium der Schwangerschaft oder manchmal sogar noch länger leiden. Abigail zum Beispiel ist es immer noch übel, obwohl ihr Baby schon in einem Monat kommen wird. (Sie behauptet zwar immer, es seien noch zwei Monate, aber wir wissen, dass es nicht mehr so lange dauern wird.) Den Winter über habe ich sie und Adam Cox nur selten gesehen, was sehr schade war. Ich hatte gehofft, dass ich gelegentlich in Adams Laden aushelfen kann, doch die Haymakers wollen, dass ich bei ihnen auf der Farm bleibe. Obwohl ich froh bin, jemanden von zu Hause in meiner Nähe zu haben, haben Adam, seine Frau und ich kein so enges Verhältnis, wie ich es mir erhofft hatte. Vermutlich braucht es einfach seine Zeit, bis wir unsere Befangenheit wegen der ungewöhnlichen Situation, in der wir uns anfangs befanden, ablegen können.
    Auch der Schnee ist endlich geschmolzen. Es ist so eine Erleichterung, nicht mehr ständig im Haus festzusitzen. Die Nächte sind zwar immer noch sehr kalt, doch tagsüber ist es deutlich wärmer. Die Schneeglöckchen blühen, sogar ein paar sehr frühe Narzissen haben sich schon vorgewagt, und die Weiden beginnen zu knospen. Wie wohl ihr Grün nach all dem Grau und Braun dem Auge tut! Schon in wenigen Wochen werden wir den Boden im Garten umgraben können.
    Vielleicht ist es ja töricht, aber ich hoffe, dass Ihr eines Tages Euer Enkelkind kennenlernen werdet. Es liegt in Gottes Händen.
    Eure Euch liebende Tochter,
Honor Haymaker

Milch
    Honor hatte zwar versprochen, niemandem mehr zu helfen, doch das hinderte die Flüchtlinge nicht daran, weiter am Hof vorbeizulaufen. Als das Wetter besser wurde, riss der Strom der aus dem Süden kommenden Sklaven kaum noch ab. Honor fand es nicht leicht, sich an die Abmachung zu halten und die Flüchtlinge einfach wegzuschicken.
    Beim ersten Mal gelang es ihr noch recht gut. Honor verließ gerade das Klohäuschen, als ein Mann dahinter hervortrat. Er sah sie erwartungsvoll an, sagte aber nichts. Honor blickte zum Garten hinüber, in dem Judith den Boden lockerte und für die Aussaat vorbereitete. Ihre Schwiegermutter hatte sich mittlerweile aufgerichtet, stand auf die Grabgabel gestützt da und beobachtete sie. »Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen.« Honor hatte sich die Worte für diese Situation bereits zurechtgelegt, doch dann sprach sie leiser weiter: »Gehen Sie noch drei Meilen weiter in Richtung Norden, dann kommen Sie nach Oberlin. In dem roten Haus in der Mill Street wird man Ihnen helfen. Gott behüte Sie.« Diese Auskunft galt sicher noch nicht als Hilfe, doch schon als sie die Worte aussprach, wusste sie, dass Judith das anders sehen würde.
    Der Mann nickte, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Wald.
    Eigentlich war es gar nicht so schlimm gewesen, ihn wegzuschicken, dachte Honor, doch sie fühlte sich unbehaglich. Sie wartete, ob Judith etwas sagen würde, doch die hatte sich bereits wieder der Gartenarbeit zugewandt.
    Der nächste Flüchtling war eine ältere Frau, was Honor überraschte. Die meisten entlaufenen Sklaven waren jünger, denn die Flucht kostete viel Kraft. Honor entdeckte die Frau, weil Digger bellend und knurrend hinters Hühnerhaus rannte, wo die Alte sich ganz klein gemacht hatte. Zusammengekauert, die Arme um die Beine geschlungen, saß sie da und sah zu, wie der Hund sich in eine immer wildere Raserei hineinsteigerte. Ihr Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, doch ihre gelbbraunen Katzenaugen leuchteten wach und klar.
    Â»Quäkerfrau, hast du was zu essen?«, fragte sie, nachdem Honor Digger zurückgerufen hatte. »Ich hab nämlich Hunger.«
    Â»Es tut mir leid, aber ich kann …« Honor brachte ihren eingeübten Satz nicht zu Ende.
    Â»Nur ’n

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