Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
dass es ein zu großes Risiko für den Hof bedeutet. Vor Kurzem wurde in Greenwich ein Freund festgenommen, weil er einem entlaufenen Sklaven geholfen hatte, jetzt sitzt er für sechs Monate im Gefängnis und muss außerdem eine beträchtliche Geldstrafe zahlen. Seit das Fugitive Slave Law verschärft wurde, hören wir immer wieder von solchen Fällen.
    Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Großzügigkeit mir gegenüber, als ich so allein und hilflos war. Trotzdem halten wir es für besser, wenn Du uns nicht mehr in Faithwell besuchen kommst. Unsere Sitten und Gewohnheiten sind zu unterschiedlich. Ich wünsche Dir alles Glück der Welt und werde dafür beten, dass Du immer im Licht wandeln mögest.
    Mit aufrichtigen guten Wünschen,
Honor Haymaker

Zwiebeln
    Honor fuhr mit Jack nach Oberlin, um ihren Brief an Belle Mills abzuschicken. Sie war schon seit Monaten nicht mehr in der Stadt gewesen. Erst hatten Schnee und Kälte sie gehindert, dann das Tauwetter, weil sie wegen des tiefen, zähen Matsches auf allen Fahrwegen den Wagen nicht nehmen konnten. Aufs Pferd wollte Jack seine Frau nicht setzen, denn er hatte Angst, sie könnte herunterfallen und dem Baby schaden. Doch jetzt war das Wetter endlich besser geworden, und Honor durfte Jack begleiten, als er eine Fuhre Käse ans College liefern musste.
    Jack setzte sie vor dem Cox’schen Kurzwarenladen ab, doch Honor ging nicht hinein, sondern wartete ab, bis ihr Mann um die nächste Ecke gebogen war. Dann lief sie hastig die Main Street entlang. Es gab noch eine weitere Person, der sie ihre Entscheidung mitteilen musste.
    Obwohl sie den Weg oft genug beschrieben hatte, war Honor selbst ihn noch nie gegangen. Als sie jetzt an die Ecke zur Mill Street kam und weiter hinten die Brücke über den Pflaumenbach und rechts davon das kleine rote Haus sah, verlor sie den Mut. Sie beschloss, noch ein Stück zu gehen, um ihre Nervosität zu überwinden. Es war ein milder Nachmittag, die Sonne strahlte fröhlich vom Himmel, ein Wetter, wie Honor es den ganzen Winter über vermisst hatte.
    Sie beschloss, weiter in Richtung Süden an den Stadtrand zu laufen, wo die neue Eisenbahnstrecke gebaut wurde. Es waren bereits Tausende von Bäumen gefällt worden, obwohl die ersten Züge erst in einem Jahr fahren sollten. Dann würden sie Cleveland mit dem hundert Meilen weiter westlich gelegenen Toledo verbinden. Honor konnte sich nicht vorstellen, jemals weiter westlich als in Faithwell leben zu wollen. Selbst im Wielandwald oder auf den Straßen Oberlins lief sie niemals in Richtung Westen. Straßen und Züge in Richtung Osten erschienen ihr viel verheißungsvoller, obwohl sie wusste, dass jeder Weg in den Osten unweigerlich an der Grenze des Atlantiks enden würde.
    Südlich der Mill Street hörte der aus Holzplanken bestehende Gehweg auf, und Honor musste sich einen Weg durch den zähen Matsch suchen, der an ihren Stiefeln saugte und den Saum ihres grünen Kleides grau färbte. Vor ihr kreuzte die Main Street die Mechanics Street, von der Geschrei und raues Gelächter herüberhallten. Honor blieb stehen und tat so, als hindere der Matsch sie am Weitergehen. Sie hatte vergessen, dass sich hinter der Kreuzung das Hotel Wacks befand.
    Wegen der religiösen Überzeugungen der Gründerväter, die an ein einfaches Leben und harte Arbeit geglaubt hatten, war Alkohol in Oberlin noch heute verboten. Doch das Hotel lag knapp jenseits der Stadtgrenze, wo die kommunalen Gesetze nicht mehr galten. Es wurde von einem Mann namens Chauncey Wack geführt, einem Demokraten und Sklaverei-Befürworter, und war der einzige Ort in Oberlin, an dem man Tabak und Alkohol bekam. Obwohl die meisten Bewohner Oberlins abstinent waren, gab es einen festen Kern von trinkenden Gästen. An diesem Nachmittag saßen mehrere Männer auf der Veranda zur Straße und genossen das schöne Wetter. Einer von ihnen war Donovan. Honor schnappte nach Luft, als sie ihn in einen Stuhl zurückgelehnt entdeckte. Er lächelte sie an und prostete ihr mit seiner Whiskeyflasche zu. Vermutlich hatte er sie schon beobachtet, seit sie die Main Street entlanggegangen war.
    Den Winter über hatte sie ihn zwar nicht zu Gesicht bekommen, doch seit die Sklavenflüchtlinge wieder unterwegs waren, ritt auch Donovan wieder regelmäßig am Hof vorbei und zog seinen Hut, wann immer er Honor draußen oder auf der Veranda

Weitere Kostenlose Bücher