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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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später leichter rausreißen«, erklärte Donovan. »Sie haben die Trasse erstmal so zurückgelassen und sind in Richtung Norwalk weitergezogen, um dort an den Schienen zu arbeiten.« Er deutete in Richtung Westen.
    Sie standen nebeneinander und blickten auf den langen Streifen aus Baumstümpfen. Honor fragte sich, warum sie sich in Donovans Gegenwart wohler fühlte als mit den Haymakers. Schließlich war Donovan kein Quäker, und seine Einstellungen könnten ihren eigenen nicht stärker zuwiderlaufen. Er akzeptiert mich so, wie ich bin, dachte sie. Darum.
    Donovan hob eine Handvoll Kieselsteine auf. »Hör mal, Honor«, setzte er an und begann einen Stein nach dem anderen gegen die Baumstümpfe zu werfen. »Solltest du jemals alles aufgeben und zu mir kommen wollen, würde ich mit dem, was ich mache, aufhören. Ich könnte ’ne andere Arbeit finden. Vielleicht bei der Eisenbahn.« Seine Worte kamen zögernd, fast als schäme er sich für sie. »Wir könnten in den Westen gehen. Ich würde dich bestimmt glücklicher machen als Haymaker, jede Wette.«
    Sie konnte es sich vorstellen. Sie konnte sich vorstellen, mit einem Mann wie Donovan zu leben, und das überraschte Honor am meisten. Es muss ein guter Kern in ihm stecken, dachte sie. »Ich bezweifle nicht, dass du dich ändern könntest«, sagte sie, »aber ich trage Jacks Kind unterm Herzen.«
    Donovan brummte etwas und spuckte auf den Boden. »Aha. Hab mich schon gefragt, wann ihr beide es endlich zustande bringt.« Sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt, doch Honor spürte, dass sich eine Tür geschlossen hatte.
    Sie wäre gern noch länger mit ihm dort gestanden, doch Donovan drehte sich um und ging in Richtung Stadt zurück. Sie musste ihm folgen. Einen Moment lang tat er ihr leid. Er war bereit, sich zu ändern, doch er brauchte jemanden, für den er sich ändern konnte. Jetzt war die Chance verspielt. Sie sah seinen hohen breiten Rücken vor sich und unterdrückte ein Schluchzen.
    Vor dem Hotel bestand Honor darauf, dass sie keine Begleitung mehr brauche. »Ich habe noch viel zu erledigen«, sagte sie. Auf keinen Fall durfte er sehen, wie sie zu Mrs Reed ging.
    Donovan lüftete den Hut, hielt ihn sich vor die Brust und machte eine theatralische Verbeugung. »Lebe wohl, Honor Bright. Vielleicht komme ich ab und zu noch am Hof vorbei – um der alten Zeiten willen. Und um zu sehen, ob du ehrlich bleibst. Doch ich werde nicht anhalten, versprochen.« Er setzte den Hut wieder auf und war mit ein paar Sätzen zurück auf der Veranda. Als Honor sich zum Gehen wandte, wippte er schon wieder auf seinem Stuhl und nahm einen tiefen Zug aus der Whiskeyflasche.
    Vor dem Haus von Mrs Reed blühte ein Hartriegel, dessen zartweiße, vierblättrige Blüten leicht rosa schimmerten. Honor blieb stehen und bewunderte die Blütenpracht; der kleinwüchsige Baum war der einzige amerikanische Baum, den sie gern vor dem Haus ihrer Kindheit gehabt hätte. Mrs Reeds winziger Vorgarten quoll über vor Blumen. Die linke Seite des Eingangswegs war mit Immergrün, Lerchensporn und Veilchen ganz in rotblauen Tönen gehalten, während rechter Hand gelbe Narzissen und Schlüsselblumen wuchsen. Insbesondere die Veilchen standen überraschend dicht und üppig, manche waren strahlend blau, andere blasser und hahnenblättrig. Honor stellte sich vor, wie Mrs Reed sich hinunterbeugte und ein paar Blumen für ihren Hutschmuck pflückte. Die meisten Vorgärten in Amerika wirkten künstlich und formell. Judith Haymaker zum Beispiel hatte die Narzissen- und Hyazinthenzwiebeln so gesetzt, dass die Blumen in strengen Reihen standen; ein Anblick, über den jede Engländerin gelächelt hätte. Die Blumen im Garten von Mrs Reed jedoch wirkten bei aller Üppigkeit, als wüchsen sie willkürlich wie Wildblumen. Honor fühlte sich an einen Waldspaziergang erinnert, bei dem man zufällig auf riesige Kissen mit Primeln und Anemonen stieß. Die Blumen standen einfach da, als hätte es sie schon immer gegeben. Es zeugte von großem Können, wenn man einem Garten die Hand des Gärtners nicht anmerkte.
    Honor betrachtete die Blumen, bis sie merkte, dass die Zeit knapp wurde und sie nicht länger zögern durfte. Sie trat auf die Eingangsveranda und klopfte an die Haustür, von der sich die weiße Farbe schälte. Niemand

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