Die Enklave
die Schmerzen der Erschöpfung, die in meinem Körper wüteten. Mir blieben wieder nur die Dolche – Tegan brauchte die Keule im Moment zwar nicht, aber ich hatte nicht mehr die Kraft, sie zu schwingen. Die Chancen standen diesmal schlechter für uns, und die Folgen, wenn wir verloren, wären weit schlimmer.
Die Freaks griffen an, und ich machte mich bereit für die erste Welle. Ich rechnete nicht damit, den Kampf zu überleben, aber die eiserne Härte, die Seide mir eingetrichtert hatte, ließ nicht zu, dass ich aufgab. Ich wirbelte herum und schlitzte einen von ihnen auf. Seine Eingeweide quollen heraus und machten den Boden glitschig. Ich tänzelte rückwärts, duckte mich unter einer Klaue weg und sprang vor einem schnappenden Kiefer zurück. Die Freaks waren wütend, ich sah es in ihren roten Augen. Sie wussten , dass wir ihre Artgenossen getötet hatten.
Eine Klaue erwischte mich an der Seite. Der Schmerz traf mich vollkommen überraschend, aber noch bevor sie sich tiefer in mich hineingraben konnte, bohrte ich meinen Dolch durch die Hand des Freaks. Er zog sie sofort zurück, was die Wunde zwar verschlimmerte, aber nicht so verheerend, wie sie hätte sein können – meine Eingeweide waren
immer noch da, wo sie hingehörten. Ich ignorierte den Schmerz und rammte dem Freak meinen anderen Dolch in die Brust. Zustoßen und dann reißen, wie Seide es mir beigebracht hatte. Der Freak brach zusammen, aber sofort sprangen zwei weitere an seine Stelle.
Ich wurde schwächer, versuchte mich zurückzuziehen und rutschte in Blut und Eingeweiden aus. Von beiden Seiten stürzten sie sich auf mich, und ich riss meine Hände nach unten, die Klingen seitlich weggestreckt, wie Pirscher es mir gezeigt hatte. Das Extratraining rettete mir zweifellos das Leben. Ich drehte mich um, um zu sehen, wie die anderen sich hielten, und sah gerade noch, wie Pirscher und Bleich den letzten Freak gemeinsam erledigten. Sie waren wild und schön, ergänzten sich auf eigenartige Weise, wie der Mond und der Nachthimmel. Einen kurzen Moment lang betrachtete ich Bleichs Schwärze und das helle Schimmern von Pirschers Haar, und wieder spürte ich einen Stich.
Ich legte eine Hand auf meine Wunde und hinkte auf Tegans Versteck zu. Sie setzte sich auf, das Gesicht verzerrt vor Schmerz. »Haben wir es geschafft?«
»Ja«, sagte Bleich. »Ich glaube nicht, dass uns noch mehr einholen werden.«
Ich war mir da nicht so sicher, vor allem jetzt, da wir alle über und über mit Blut beschmiert und zwei von uns verwundet waren. Um die Sache noch schlimmer zu machen, mussten wir uns alle unbedingt ausruhen, aber wenn wir das hier und jetzt taten, würden sie über uns herfallen, während wir schliefen. Gleichzeitig wusste ich, dass Tegan etwas Sicherheit brauchte, und ließ die Lüge so stehen. Doch als Bleich mich ansah, warf ich ihm einen fragenden Blick zu,
und er hob kurz die Schultern als Zeichen, dass er verstanden hatte.
Der Himmel wurde immer heller, und ich wühlte in meinem Beutel nach der Sonnenbrille. Bei Tag konnte ich immer noch nicht so gut sehen wie die anderen, und vielleicht würde ich das auch nie, aber ich versuchte, diesen Nachteil durch Hören und Riechen auszugleichen. Meine Finger waren nass von Blut, meine Hände zitterten, und die Brille fiel auf den Boden. Ich presste die Rechte wieder auf meine Wunde und hoffte, dass sie nicht so schlimm war, wie sie sich anfühlte. Ich dachte daran, wie der Wolf auf den Stufen der Bibliothek gestorben war. Ich wollte keinen schnellen und gnädigen Tod – und vor allem wollte ich nicht sehen, wie leicht es Pirscher fallen würde, mir einen solchen zu bereiten.
Lauf einfach weiter , sagte ich mir. Wie in den Tunneln .
Diesmal ging Pirscher voraus, und Bleich nahm Tegan auf seine Arme. Ich humpelte hinter ihm her und wusste, dass wir beide dringend unsere Wunden versorgen mussten, aber um uns herum sah ich nichts außer diesem stummen, überwucherten Pfad, der in die endlose Ferne führte. Die Flächen links und rechts davon lagen still und leer, nur ab und zu erhob sich ein Baum über dem leicht gewellten Boden. Er war grün, saftig und schön und feucht von etwas, das Pirscher »Morgentau« nannte, und ich fragte mich, ob es vielleicht der letzte Morgen sein würde, den wir jemals zu Gesicht bekamen.
Trotzdem lief ich weiter.
VERZWEIFLUNG
Unter einem Überhang in einer kleinen Senke fand Pirscher einen Unterschlupf für uns. Obwohl wir Tegans Wunde versorgt hatten, war sie wieder
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