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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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hätte wie Schwäche ausgesehen.«
    So etwas hätte auch ein Jäger gesagt. Ich verstand ihn, auch wenn wir in verschiedenen Welten aufgewachsen waren. Wenn du ernst genommen werden willst, darfst du nicht zulassen, dass die Leute dich für schwach halten, und du tust alles, um zu beweisen, dass du es nicht bist.
    Ich ließ meine Hand wieder sinken, doch Pirscher ergriff sie und zog mich an sich. Warme Ströme flossen durch meinen Körper, als er mich hochhob und mit seinen Lippen über meinen Kiefer und meinen Hals fuhr. Das Gefühl erschütterte mich, und ich packte ihn bei den Schultern, wollte ihn wegdrücken oder zutreten, Pirscher daran erinnern, dass er nicht so mit mir umgehen konnte, aber stattdessen starrte ich nur hinab in seine hellen Augen. Sie erschienen mir nicht länger kalt. Sie leuchteten wie Sonnenlicht im
Schnee. Für einen Augenblick sah ich Bleich an Pirschers Stelle; er lächelte mich an. Dann war es wieder weg, und ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich fühlte.
    »Wir sollten …«
    »Die Fallen überprüfen«, sprach Pirscher den Satz zu Ende.
    Er stellte mich wieder auf meine Füße, und ich ging voraus. Mir war schwindlig vor Verwirrung. Nur in einer einzigen Schlinge fanden wir einen Hasen, aber das würde genügen, also sammelte ich auch die restlichen wieder ein, und Pirscher packte sie in seinen Sack. Dann trafen wir an der verabredeten Stelle wieder auf Tegan und Bleich, die noch ein paar mehr gefangen hatten.
    »Wie war die Jagd?«, fragte Bleich.
    Meine Wangen brannten, als wüsste er, was wir getan hatten. Aber so wie ich die Sache sah, war es gut möglich, dass er mit Tegan das Gleiche gemacht hatte. Vielleicht kam das Rot auf ihren Wangen nicht von der Kälte. Vielleicht hatten sie eng aneinandergeschmiegt im Schatten der Bäume gestanden und sich Geheimnisse zugeflüstert. Der Gedanke beschwor in mir keine Abneigung gegen sie herauf, aber ich fühlte mich mit einem Mal schwer, traurig, als hätte ich etwas verloren, bevor ich es überhaupt richtig kennengelernt hatte.

ALBTRAUM
    Zwei Wochen nachdem wir das kleine Haus verlassen hatten, fanden wir etwas, das noch schlimmer war als die großen Ruinen. Weit schlimmer.
    Als Erstes schlug mir der Gestank entgegen. Ich hob den Kopf und schnupperte. Der Fluss machte eine Biegung, und ein blassgrauer Pfad aus diesem gegossenen Stein bog in eine weitere Ansammlung von Ruinen ab. Verglichen mit den anderen waren diese hier klein, aber in noch schlechterem Zustand. Manche waren halb eingestürzt, andere lagen vollkommen in Trümmern.
    Und es stank nach Freaks. Es war das erste Mal, seitdem wir Richtung Norden unterwegs waren, dass wir Anzeichen von Leben fanden. Ich hatte schon angefangen, mich zu fragen, ob wir die Einzigen waren, die überlebt hatten. Eine beängstigende Vorstellung. Aber das hier machte mir noch mehr Angst.
    Es war bereits fast dunkel – die Zeit, zu der wir immer begannen, nach einem Rastplatz zu suchen –, und ich konnte sie sehen , wie sie in einiger Entfernung umherschlichen. Dies war ihr Territorium, ich spürte es bis in meine Knochen. Ich wusste nicht, wo wir einen sicheren Platz finden würden, aber ich wusste mit Sicherheit, dass wir sie besser umgehen sollten. »Lasst uns einen Umweg machen.«

    Bleich drehte sich um. »Riechst du es auch?«
    »Wir alle«, murmelte Tegan. »Es ist widerlich.«
    Pirscher hielt sich eine Hand über die Augen und spähte in die Ferne. »Wenn wir uns nach Osten wenden, können wir sie umgehen.«
    »Das bringt uns vom Weg ab«, erwiderte Bleich, »aber es ist wohl trotzdem die bessere Möglichkeit.«
    Ich sprach es zwar nicht aus, aber es war nicht gerade so, als ob wir tatsächlich einen Weg hatten . Ein weiterer Pfad führte nach Osten. Er war aus dem gleichen gegossenen Stein gemacht, aber die Zeit und der Regen hatten ihm ziemlich zugesetzt; er war aufgesprungen, teilweise mit Gras überwachsen und schien mittlerweile eher aus Erde und Schlamm zu bestehen. Er würde uns weg vom Fluss bringen, aber vielleicht konnten wir wieder ans Wasser zurückkehren, sobald wir die Gefahr umgangen hatten. Wenn in den Ruinen nicht noch ein paar Menschen lebten, bedeutete das, dass die Freaks sich wohl gegenseitig auffraßen. Was wiederum hieß, dass sie verzweifelter und wilder waren als die, mit denen wir es bis jetzt zu tun gehabt hatten.
    Oder sie gingen auf die Jagd … wie wir. Der Gedanke machte mir Angst. Ich wollte nicht, dass sie uns auch nur in irgendeiner Art und Weise

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