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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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wie Kohlen, funkelte er mich an. »Das ist widerlich!«

    Ich wich keinen Schritt zurück, als er näher kam. »Warum bleibst du dann noch hier? Ich sag’s dir: weil es hier besser ist als da draußen .«
    »Ach ja?«, entgegnete er. »Woher willst du das wissen?«
    Damit meinte er natürlich, dass ich noch viel zu unerfahren war, um so etwas zu sagen. Ich wurde rot, ließ mich aber nicht einschüchtern. Nicht eine Jägerin. »Wenn es irgendwas Besseres für dich gäbe, wärst du schon lange weg. Du hasst diesen Ort, so wie du uns alle hasst.«
    »Nicht alle . Zumindest nicht bis heute.«
    »Wegen dem Balg.«
    »Raus«, sagte Bleich und drehte sich weg. »Es war dumm von mir zu glauben, ich könnte mit dir reden … zu glauben, du würdest irgendwas kapieren.«
    Ich biss die Zähne aufeinander und schob mich durch den Vorhang zurück nach draußen. Ein Schaffer, der gerade vorbeikam, grinste mich hämisch an. »Du weißt, dass du Ärger bekommen kannst, wenn du die Parzelle eines Jungen betrittst. Aber wenn du mir einen kleinen Gefallen tust, werd ich’s niemandem erzählen.«
    Nein, nicht heute. Ja, ich hatte eine kleinere Vorschrift verletzt und war ohne Aufpasser hineingegangen, aber ich war nicht in Stimmung für dieses Spielchen. »Ich war nicht lange genug da drin, als dass irgendetwas hätte passieren können. Wenn du den Mund hältst und dich verziehst, und zwar jetzt , dann schlag ich dafür deinen Schädel nicht zu Brei.«
    Ich griff nach meiner Keule, und der Junge rannte weg. Anscheinend hatte er zumindest ein bisschen Hirn. Natürlich würde er sich wahrscheinlich über mich beschweren, aber dann stand mein Wort gegen seines. Und nachdem ich
morgen nach Nassau aufbrechen – und wahrscheinlich nicht zurückkehren – würde, kümmerte mich ein Disziplinarverfahren wegen ungebührlichen Benehmens nicht besonders.
    Nachdem ich mir in meiner Wohnparzelle saubere Kleidung geholt hatte, ging ich zum Waschbereich für Frauen, einem durch Vorhänge abgeteilten Teil der Enklave, der für Männer verboten war. Aus den dort verlegten Rohren tropfte pausenlos mehr oder weniger sauberes Wasser. Wir wussten nicht, wer diese Einrichtung gebaut hatte, aber wir waren dankbar für das fließende Wasser. Was wir tranken, kochten wir zuvor ab, aber zum Waschen war es sauber genug.
    Um diese Uhrzeit war außer mir niemand mehr dort, und es war mir ehrlich gesagt auch lieber so. Es gefiel mir nicht, wie manche der Frauen dort ihre Körper verglichen. Meiner war ein Werkzeug, schlicht und einfach. Ich ernährte ihn, damit er nicht verhungerte, und ich trainierte ihn, damit er stark wurde.
    Ich zog mich aus. Es war kühl hier drinnen, und auch das Wasser war kalt, was es noch schlimmer machte. Ich schöpfte eine Handvoll Wasser aus einem Eimer am Boden und wusch mich im Eiltempo unter den unregelmäßigen Tropfen. Wenn ich an dem Rädchen drehte, würde mehr rauskommen, aber das würde ich dann von Zwirn zu hören bekommen, der eisern über unsere Rohstoffe wachte.
    Als ich mit dem Waschen fertig war und meine Ersatzkleidung angezogen hatte, hatte sich mein Zorn etwas gelegt. Es war nicht fair, wütend auf Bleich zu sein. Er konnte nichts für seine verrückten Ansichten. Bereits als Bälgern bläute man uns ein, wie wichtig es war, wo man erzogen wurde. Die Bewohner von Nassau hatten schon ein paar seltsame Vorstellungen:
Sie hatten keinen Fortpflanzungsplan wie wir, und sie sahen … seltsam aus. So wie die Teams rochen, wenn sie nach College kamen, um mit uns Handel zu treiben, legten sie nicht besonders viel Wert auf Sauberkeit. Wir boten ihnen jedes Mal an, sich in unserem Waschbereich sauberzumachen, aber sie lächelten uns immer nur an mit ihren schwarzen Zähnen und sagten: »Wozu die Mühe? Auf dem Rückweg werden wir sowieso wieder dreckig.«
    Aber wir hatten schon lange niemanden mehr aus Nassau zu Gesicht bekommen. Außer dem Balg.
    Und Bleich stammte von einem noch weiter entfernten Ort. Zumindest nahm ich das an. Nicht dass er es mir erzählt hätte – oder irgendjemandem , soweit ich wusste.
    Ich wünschte nur, er hätte mich nicht in die Sache mit hineingezogen. Hätte ich mich doch nur geweigert, ihm zu folgen, wäre ich nur in den Seitentunneln geblieben, wie unser Befehl gelautet hatte. Dann hätten wir den Balg niemals gefunden und müssten morgen nicht nach Nassau. Aber der zweite Lehrsatz der Jäger hätte auch das verboten. Der erste war: Die Starken überleben. Der zweite: Vertraue deinem Partner.

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