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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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Verhaltensänderung bewirkt hat. In den alten Tagen haben sie die Enklave ständig angegriffen und dann gelernt, uns zu fürchten, unsere Waffen und Fallen. Findet heraus, warum sie uns nicht mehr fürchten. Das könnte wichtig sein.«
    »Was ist mit ihm ?« Bleich hob den Jungen auf seinen Armen hoch.
    Seide zuckte die Achseln. »Er hat seinen Zweck erfüllt. Selbst in Nassau wollen sie ihn nicht zurück.«
    Ein Teil von mir wollte vorschlagen, ihm Wasser und Essen zu geben und ihn zu unserem Medizinmann zu bringen. Aber ich erstarrte unter Seides eiskaltem Blick. Mit einem Anflug von Abscheu übergab sie den Balg an den Wachposten, der ihn behandelte, als wäre er bereits tot. Ich biss mir auf die Zunge, bis ich Blut schmeckte. Ich musste härter werden. Ich musste . Sonst würde ich es als Jägerin nie schaffen. Ein Bewohner der Siedlung verlor nur selten seinen Job. Die Male konnten sie mir nicht mehr wegnehmen, aber sie konnten mich dazu zwingen, sie mit Armbändern aus Stoff zu überdecken. Sie konnten immer noch eine Zeugerin aus mir machen.
    Nicht wenige in der Enklave hatten diese Funktion. So hielten wir die Bevölkerungszahl ausreichend hoch. Weit weniger wurden Schaffer oder Jäger, und als Jungblut bekam man es von den älteren Jägern immer zu hören, wenn man
einen Zeuger in seinem Stammbaum hatte. »Vielleicht solltest du doch Zeugerin werden«, sagten sie einem. Es war nicht ratsam, darauf hinzuweisen, dass beinahe jeder Bewohner aus einer Zeugerlinie kam. Damit goss man nur Öl ins Feuer, und es gab immer ein paar, die einer Elite angehörten, deren Erzeuger Jäger gewesen waren, bevor sie zu alt für die Aufgabe wurden.
    Also sagte ich nichts. Der Balg weinte wieder, aber diesmal tröstete Bleich ihn nicht. Schweigend stand er neben mir, und ich wurde das Gefühl nicht los – es umschwirrte mich wie eine lästige Fliege –, dass ich ihn enttäuscht hatte. Ich fühlte mich niedergeschlagen, mir war schlecht, und ich hatte Angst, weil wir am nächsten Tag nach Nassau aufbrechen mussten. Seide rechnete wohl kaum damit, dass wir überleben würden. In ihrer letzten Trainingsgruppe mochte ich die Beste gewesen sein, aber ich war nicht unersetzbar, und sie wollte, dass ich das wusste. Und falls ich doch überleben sollte, wollte sie, dass ich eingeschüchtert und verängstigt zurückkommen würde, bereit, ihre Befehle in Zukunft blindlings zu befolgen.
    »Können wir jetzt wegtreten?«, fragte Bleich.
    »Ja. Seid pünktlich morgen«, erwiderte Seide mit einem Lächeln.
    Bleich packte meine Hand und drückte so fest zu, dass es wehtat, dann zog er mich durch das Gassengewirr zwischen den Wohnparzellen. Ich wusste nicht, wohin er mich führte, bis wir vor einer Parzelle stehen blieben. An der Art, wie er sie betrat, sah ich, dass es seine eigene war. Den Privatbereich eines anderen konnte man nicht so respektlos behandeln.
    Deshalb blieb ich vor dem Vorhang stehen, bis Bleich sagte: »Komm rein hier.«

    Das war nicht gerade eine sehr höfliche Einladung. Ich runzelte die Stirn und ging hinein. Sein Wohnraum sah mehr oder weniger genauso aus wie meiner. Wir hatten alle die gleiche Einrichtung. »Was?«
    Er ließ sich auf eine Kiste fallen und stützte die Ellbogen auf die Knie. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Gefühl wider, das ich weder deuten konnte, noch hatte ich jemals zuvor eine ähnliche Emotion gesehen, und es traf mich wie ein Schlag. Meine Haut begann zu prickeln. Ich musste mich waschen und mich um meine Waffen kümmern; vor allem meine Keule konnte eine gründliche Reinigung vertragen. Ich wollte keine weitere Sekunde mit ihm verbringen. Seitdem Seide mich mit ihm in ein Team gesteckt hatte, hatte Bleich mir nichts als Ärger eingebracht.
    »Sie werden ihn töten«, sagte er mit heiserer Stimme.
    Das wollte ich nun absolut nicht hören – und nicht dass es mich überhaupt interessierte. Als Jägerin ging mich so etwas schlichtweg nichts an. Ich war dafür da, mich um das Wohl der Enklave zu kümmern. Meine Aufgabe war, für die Sicherheit ihrer Bewohner zu sorgen. Für den Schutz von Bälgern, die wir in den Tunneln fanden, war ich nicht zuständig, außer sie waren wie Bleich – stark genug, um auf eigene Faust zu überleben. Wir konnten es uns nicht leisten, uns um Schwächlinge zu kümmern und sie durchzufüttern.
    »Ich weiß.«
    »Das könnte ich sein.«
    »Könnte es nicht«, widersprach ich. »Du hast keinen Defekt. «
    Bleich sprang auf die Füße. Mit schwarzen Augen, glühend

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