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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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oder noch weiter: Es gab keine Garantie, dass wir unsere Vorräte in Nassau auffrischen konnten. Wenn der Balg die Wahrheit gesagt hatte, konnte es sein, dass die Freaks die Siedlung bereits überrannt hatten.

    »Zeit, weiterzumarschieren«, sagte Bleich nach einer Weile. Es waren seine ersten Worte an diesem Tag. »Wir müssen noch vier Stunden hinter uns bringen, bevor wir unser Nachtlager aufschlagen können.«
    »Woher weißt du das?« In der Enklave gab es ein paar Zeitmesser, Fundstücke von weit zurückliegenden Expeditionen an die Oberfläche. Wir hatten natürlich keine Ahnung, ob sie richtig gingen, aber das spielte keine Rolle. Was wir brauchten, war eine einheitliche Zeit, die für alle galt.
    Als Antwort schob Bleich seinen Ärmel zurück – im Gegensatz zu den meisten hielt er seine Male bedeckt – und zeigte mir sein Handgelenk: Er trug einen kleinen Zeitmesser. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
    »Was ist das?«
    »Eine Armbanduhr.«
    Die Zeiger leuchteten, so dass man sie sogar im Dunkeln sehen konnte. Das erklärte, woher er wusste, wann ein Patrouillengang zu Ende war und dass wir noch vier Stunden lang laufen mussten. Ich nickte, verstaute meine Sachen und sprang von dem Sims herunter. Wir hatten Glück gehabt, in Ruhe essen zu können, aber jetzt war es Zeit zum Aufbruch, auch wenn sich meine Muskeln schwach und breiig anfühlten.
    Diesmal gab ich das Tempo vor. Es gefiel mir zwar nicht, Bleich in meinem Rücken zu haben, aber ich wollte auch nicht, dass er dachte, ich hätte Angst vor ihm.
    Unterwegs schrammten wir viermal haarscharf an Freaks vorbei, das hielt uns wach. Sie versuchten uns anzugreifen, aber sie waren langsam und schwach. Wir waren stumm übereingekommen, nicht stehen zu bleiben, um sie zu töten; in einem Kampf konnte man sich verletzen, und das hätte
uns zu noch verlockenderen Opfern gemacht. Wenn wir sie in der Nähe der Enklave trafen, brachten wir sie um, das war Teil unserer Verteidigungsstrategie, aber hier war es das Beste, einfach weiterzurennen.
    Als wir endlich einen Platz für unser Nachtlager gefunden hatten, schmerzte mein ganzer Körper. Der Tunnel wurde an dieser Stelle breiter. Wir sahen wieder die zwei Metallstangen, die parallel zueinander auf dem Boden verliefen, daneben eine erhöhte, mit bunten Farben bemalte Plattform, auf der haufenweise Glassplitter herumlagen. Bleich zog sich hinauf und streckte mir seine Hand entgegen.
    Im Gegensatz zum letzten Mal tat es diesmal nicht weh, als seine Finger sich um die meinen legten. Nur mit einem Arm zog er mich hoch, und ich war überrascht, wie stark er war. Ich landete neben ihm und begutachtete die erhöhte Fläche.
    Das eine Ende wurde von einem Metalltor versperrt. Am anderen sah ich zwei Türen. Bleich war bereits dort und probierte die Klinken. In der Enklave gab es keine Türen, aber ich hatte schon einmal welche gesehen. Eine der Türen ging auf, aber der Gestank, der herauskam, war so widerlich, dass ich würgen musste.
    »Liegt da was Totes drin?«
    »Wahrscheinlich«, erwiderte Bleich.
    Die weißen Fliesen waren schwarz vor Dreck und getrocknetem Blut. Weitere Türen versperrten den Zugang zu winzig kleinen Räumen, bis auf eine, die schief in ihrem Rahmen hing und den Blick auf einen klobigen Stuhl mit einem Loch in der Mitte freigab. Ich konnte meine Neugier nicht mehr im Zaum halten und überwand meinen Ekel.

    Als ich den Raum betrat und mich gerade umsehen wollte, bemerkte ich in meinem Augenwinkel eine Bewegung. Sofort wirbelte ich herum und zog meine Dolche. Die andere Frau tat das Gleiche. Ich rührte mich nicht mehr; sie auch nicht.
    Die Spiegel, die ich bis dahin gesehen hatte, waren alle ziemlich klein gewesen, und die meisten hatten Risse gehabt. Ich wusste, dass ich braune Haare und graue Augen hatte, aber ich hatte mich noch nie ganz gesehen. Bleich stellte sich neben mich und begutachtete mein Spiegelbild, so wie ich es tat. Unbehagen raspelte über meinen Rücken wie ein schartiges Messer. Ich kam mir klein vor neben ihm. Und im Moment auch ziemlich albern.
    »Ich schlafe lieber draußen.« Ich riss meinen Kopf herum und schaute hinaus auf die erhöhte Plattform.
    »Ich auch. Du kannst das hier zuerst benutzen.«
    »Benutzen?«
    »Das ist ein Waschraum mit Klo.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man sich hier drinnen waschen sollte, aber als ich noch einmal zu dem seltsamen Stuhl hinüberschaute, begriff ich, was er meinte. In dem Loch schwamm schwarzes, fauliges Wasser und

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