Die Entdeckung der Currywurst
lieber so richtig schnell getanzt hätte. Aber der konnte nicht mehr, hatte Asthma. Und dann war sie mit ihm in seine Wohnung gegangen, ein kleines Behelfsheim. Er war ausgebombt worden, die Frau hatte man mit den vier Kindern nach Ostpreußen evakuiert. Er bewohnte ein Zimmer, darin ein durchgelegenes Ehebett.
Ihr war danach schlecht, nicht etwa vor Selbstekel, dazu gab es keinen Anlaß, der Mann war ein freundlicher, schüchterner Asthmatiker. Sie hatte ihn schon früher in der Kantine beobachtet. An schwülen Sommertagen trank er viel Wasser, und manchmal pumpte er sich mit einem kleinen Gummiball Luft in den Mund. Nachts war sie aufgewacht und fand den Mann schwer atmend, schnarchend, neben sich. Sie war auf eine grundsätzliche Art nüchtern. Neben ihr lag ein ächzender fremder Körper. Sie war aufgestanden und leise hinausgegangen und dann zu Fuß durch die Nacht von Ochsenzoll nach Hause gelaufen, eine Strecke von drei Stunden. Ein notwendig langer, weil sie erschöpfender Weg, der langsam auch das Geschehene in die Ferne rückte. So als hätte sie mit sich selbst einen Versuch angestellt, dessen Ergebnis Unzufriedenheit hinterließ. Das konnte sie gelassen denken, peinigend hingegen war der Gedanke an den ersten Arbeitstag im neuen Jahr, dann, wenn sie den Mann Wiedersehen würde. Der erste Blick von ihm, der war denn auch so, wie sie es erwartet hatte: bedeutungsschwanger, eine aufdringliche Einvernehmlichkeit, eine dödelige Vertraulichkeit.
Sie hatte sich Mühe gegeben, nicht aggressiv auf den Mann zu reagieren. Sie war ihm gezielt aus dem Weg gegangen, hatte dafür gesorgt, daß immer andere Freunde und Bekannte in der Nähe waren, wenn sie ihm nicht mehr ausweichen konnte, ein kompliziertes Geflecht des Fragens, Herbeirufens, Nachfragens, während er danebenstand und sie ansah, erwartungsvoll, nein, vorwurfsvoll traurig. Bis er sie einmal allein abpaßte auf der Straße und sie fragte, was denn sei. Was er falsch gemacht habe. Nichts. Es war doch alles sehr schön, oder?
Ja doch, sagte sie, und so soll es bleiben.
Nein, es war nicht schön, sagte Frau Brücker. Oder, einen Moment ist es ganz schön. Aber davor und danach stimmts nicht. War ja ganz frei, und doch wars wie ein Seitensprung, sozusagen vor mir selber. Vielleicht hätte ich es öfter gemacht, wenn die Männer danach verschwunden wären, einfach vom Boden verschluckt worden wären. So aber war, wenn man sie traf, jede Bewegung, jeder Geruch, jeder Blick auch eine Erinnerung daran, was man nicht an ihnen mochte.
Und Bremer?
Bei dem Bremer nicht. Er hat mir gleich gefallen. Warum gefällt einem einer? Ich meine, bevor einer den Mund aufmacht. Sofort. Nicht durch dieses lahme Sichnäherkommen. Wenn ich das schon hör. Liebe aus Vertrautheit. Alles Quatsch. Langweilig. Mit Bremer wars anders, ganz anders.
Hugo kam ins Zimmer, der Zivi mit Pferdeschwanz und goldenem Ring im Ohr, weiße Kitteljacke, schob einen kleinen Karren. Die Gummiräder quietschten auf dem grauen Kunststoffbelag. Auf der emaillierten Platte des Wagens standen Dosen, Schachteln und Fläschchen mit Salben, Tabletten, Säften.
Ah, das Altenfutter kommt, sagte Frau Brücker.
Hugo schüttete ihr drei rosa Pillen in die aufgehaltene Hand, ging in die Kochnische und holte ein Glas Wasser. Mit Hugos Hilfe halt ich mich hier, sagte sie, die wollen mich in die Pflegeabteilung abschieben. Aber ich sag immer: Ohne Herd is der Mensch nix wert. Wollte dem Hugo mal ne Currywurst machen, aber der ißt natürlich lieber Döner. Nee, sagte Hugo, wenn schon was von der Faust, dann ne Pizza.
Hugo nahm das Pullovervorderteil in die Hand: Hellbraun war der Grund, in einem Tal sammelte sich etwas Blau des Himmels, und der dunkelbraune Stamm einer Tanne strebte rechts hoch ins Blau. Klasse, sagte er, stimmt genau, wenn jetzt mehr Himmel kommt und darin die Äste der Tanne. Ich guck später noch mal rein.
Hatten Sie den Curry in der Kantine? fragte ich, um sie wieder auf die Spur zu bringen.
Curry, nee, gabs doch nicht. War doch Krieg. Nee, so einfach war das nicht. Sie nahm das Strickzeug, tastete sich an den Rand, zählte die Maschen, stumm, dann ein Murmeln, 38, 39, 40, 41. Sie begann zu stricken. An dem Tag hab ich nur darauf gewartet, wieder nach Hause zu kommen. Ich zog mir den Kittel an, ging in die Kantinenküche. Holzinger wartete schon. Wir müssen heute Fisch machen, sagte er. Der Gauredner kommt auf Besuch. Will eine Durchhalterede ablassen. Holzinger hatte im
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