Die Entdeckung der Currywurst
Erzherzog Johann jahrelang als zweiter Saucenkoch gearbeitet. Und später als erster Saucenkoch auf dem Passagierschiff Bremen . Er muß ein begnadeter Koch gewesen sein, der heute sicherlich ein Zwei-Sterne-Restaurant betreiben würde. Holzinger wurde bei Kriegsbeginn in die Rundfunkkantine des Reichssenders Königsberg dienstverpflichtet. Der Geist braucht, hatte Goebbels gesagt, erstklassige Menüs, sonst ist er einfallslos, krittelnd. Ein leerer Magen vertieft jeden Zweifel. Blähungen, Sodbrennen verstärken jeden Schatten ins Rabenschwarze. Darum müssen in den zentralen Propagandastellen gute Köche arbeiten. Kein Berufsstand ist durch gutes Essen so bestechlich wie die Arbeiter der Stirn.
Holzinger übernahm die Kantine des Reichssenders. Wenige Monate später litten mehrere Rundfunksprecher und Redakteure unter Brechdurchfall, auffälligerweise immer dann, wenn es galt, militärische Siege zu melden. Der Sieg über Frankreich wurde gefeiert, es wurde geflaggt, Marschmusik gespielt, Blumen wurden auf die Siegesallee in Berlin gestreut, der Führer nahm mit seinen kornblumenblauen Augen die Parade ab, aber der Kommentator des Reichssenders in Königsberg kniete in der Toilette und kotzte. Da das gleiche schon bei den Meldungen der Siege über Dänemark und Norwegen vorgekommen war und sich dann bei der Eroberung Kretas und Tobruks wiederholte, richtete sich der Verdacht gegen Holzinger. Niemand hatte je ein kritisches Wort aus seinem Mund gehört, was aber den Verdacht auf eine besondere Heimtücke noch verstärkte. Es gibt – ich habe sie mir vorspielen lassen – eine mitgeschnittene Radioaufnahme, in der ein Sprecher bei den Worten unsere siegreichen Fallschirmjäger zu würgen beginnt, nach Kreta kommt ein akustisches Loch, das Mikrophon wird vom Sprecher kurz abgeschaltet, dann folgt ein gerülpstes erobert, das in Kotzgeräusche mündet. Aus.
Holzinger wurde, nachdem die Besteigung des Elbrus durch siegreiche deutsche Gebirgsjäger gemeldet werden sollte, der zuständige Radiosprecher sich aber unter Magenkrämpfen auf dem Redaktionssofa wand, zur Gestapodienststelle befohlen. Er verwies auf die ihm gelieferten Lebensmittel. Salat könne er schließlich nicht keimfrei kochen, auch nicht die Buttermilch. Zudem das Wasser. Da sind, hatte Holzinger geantwortet, viele Fälle von Brechdurchfall in der Stadt. Er habe selber zusammen mit dem Sprecher unter Magenkrämpfen gelitten. Das überzeugte den Gestapobeamten. Holzinger wurde zurückgeschickt. Sollte erst einmal im Quartier bleiben und mußte sich verpflichten, über die Vernehmung zu schweigen. Er wurde von dem Sender entlassen und zur Lebensmittelbehörde in Hamburg versetzt. Niemand, auch Holzinger selbst nicht, konnte sagen, warum man ihn gerade nach Hamburg versetzt hatte.
Drei Wochen nach Holzingers Arbeitsbeginn wurde Frau Brücker zu der Dienststelle befohlen. Ein Gestapobeamter sagte, sie sei als Leiterin der Kantine vorgeschlagen worden. Er befragte sie, ob ihr etwas an Holzinger aufgefallen sei, ob er sich abfällig über die Partei geäußert habe, über den Führer? Nein, nichts dergleichen. Ob das Essen schmecke? Er ist ein Zauberer, hatte Lena Brücker gesagt, er macht aus fast nichts etwas und etwas Ausgezeichnetes aus etwas. Und wie? Sein Geheimnis ist, wie er würzt. Der Beamte, ein junger, freundlich-ruhiger Mann, nagte gedankenverloren an seiner Unterlippe. Sie solle Bescheid sagen, wenn Holzinger defätistische Äußerungen mache. Ob sie Pg. sei? Nein. Hmm. Der Mann verpflichtete sie zum Schweigen. Damit war sie entlassen. Sie hatte Holzinger gesagt, daß sie über ihn befragt worden sei. Seitdem bestellte sie jedesmal Fisch, wenn, wie heute, Gauredner Grün kam. Der Vater von Grün hatte einen Fischladen, und Grün hatte mehrmals betont, daß ihm, wenn er Fisch auch nur rieche, übel werde. Als Junge habe er nämlich Fische aus dem Frischwasserbottich keschen, dann mit einem Schlag auf den Kopf betäuben, aufschlitzen und ausnehmen müssen.
Lena Brücker telefonierte mit der Fischhalle, die sagten, nicht ein einziger Fisch sei angelandet worden. Es komme kein Fischdampfer mehr die Elbe hoch, weil drüben, am anderen Ufer, schon der Tommy sitze. Sie rief bei der Freibank an, und die hatten mehrere Kilogramm Pansen. Gestern nacht seien Bomben in Langenhorn gefallen, eine direkt neben einen Bauernhof, eine Luftmine. Der Stall sei stehengeblieben, aber Fenster und Türen waren raus. Alle Kühe lagen tot da, ganz und hübsch
Weitere Kostenlose Bücher