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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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appetitlich. Nur die Lungen waren ihnen aus dem Leib gerissen worden.
    Pansen, wir können zwanzig Kilo Pansen bekommen.
    Sehr gut, sagte Holzinger, wir machen Kutteln. Kartoffeln haben wir ja gebunkert.
    Lena Brücker deckte die Tische der leitenden Herren. Das machte sie persönlich. Sogar Papierservietten gab es noch. Vor einem halben Jahr war eine Lieferung für die nächsten 1000 Jahre eingegangen. Die Servietten wurden auch als Toilettenpapier benutzt.
    Mittags versammelten sich alle Angestellten der Lebensmittelbehörde in der Kantine. Gauredner Grün, der in seiner braunen Uniform käsiggrau wirkte, kam mit dem Betriebsführer Dr. Fröhlich, auch er in brauner Parteiuniform, weichfallenden braunen Langschäftern, gestärktem hellbraunem Hemd, goldenen Manschettenknöpfen, makellos. Gauredner Grün beschönigte nichts. Er verglich die europäische Kultur mit dem jüdisch-bolschewistischen Ungeist. Hier das Ganzheitsdenken, dort das Teilen, Zersetzen, Kritisieren. Positiv, negativ. Also: Zuversicht und Mut bestimmend für das deutsche Denken. Hingegen Wankelmut, Kritisiererei, Defätismus etwas Jüdisches. Dann kamen aus dem Mund von Grün Vergleiche: Leningrad und Hamburg, Moskau und Berlin. Da horchten alle auf, ja, er sprach es offen aus: Der Russe schien damals schon am Ende, aber dann hatte er Leningrad verteidigt, eingeschlossen, drei Jahre, festgekrallt hatte der Russe die Stadt verteidigt und aus der größten Niederlage einen Sieg gemacht. So auch wir jetzt. Grün gewann den Endsieg, indem er zeigte, wer am Boden liegt, wenn es denn der heimatliche ist, kann ihn weit besser verteidigen, weil er ihn kennt. So wird Hamburg verteidigt, Straße um Straße, Haus um Haus. Jeder, der sich drückt, der sich feige beiseite schleicht, ist ein Volksverräter, abstoßend, ein Krankheitsherd, der auszubrennen ist. Der gemeinsame Wille. Der Engländer wird sich wundern über diesen fanatischen Widerstand, der ihm entgegenschlägt. Und dafür ist wichtig, daß auch diese Behörde, zuständig für die Verteilung der Lebensmittel, mithilft, daß jeder Volksgenosse seinen gerechten Anteil bekommt, also Kraft, Kraft für den Endsieg: das sind die Lebensmittelmarken. Und dann zitierte Grün Hölderlin, nicht für Lena Brücker, die ja nur die Kantine organisierte, Zuteilungen mit Marken abrechnete, den Abwasch kontrollierte, die Tische der leitenden Herren deckte, sondern er zitierte Hölderlin speziell für all die Abteilungsleiter, Wirtschaftsexperten, Juristen, Volkswirte. Damit ihr Sinn getragen, dem Ernst der Lage entsprechend, noch fester werde. Sieg Heil!
    Gauredner Grün setzte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dr. Fröhlich stand auf und versprach, diese Behörde werde ihre Pflicht bis zum Endsieg tun, nämlich die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, und wenn nötig, würde man die Behörde auch mit der Waffe in der Hand verteidigen. Er setzte sich zu Grün und den anderen leitenden Volksgenossen an den Kantinentisch. Lena Brücker bediente die Herren. Gauredner Grün sagte, er müsse nachher gleich weiter, müsse reden, in einer halben Stunde, vor der Belegschaft der Batteriefabrik HABAFA. Alle müßten arbeiten für den Sieg, eine letzte, eine allerletzte Anstrengung.
    Nimm heute auf keinen Fall etwas von der Terrine vom Vorstandstisch, hatte Holzinger gesagt, ich möchte den Kollegen von der Batteriefabrik eine Rede ersparen. Es war das einzige Mal, daß Holzinger einen Hinweis auf seine Küchensabotage gab. Lena Brücker schöpfte die Kutteln dem Gauredner in den Teller und hörte: Halten, schon, aber natürlich kämpfen, panzerbrechende Waffen, klar, aber, wie das duftet, sagte er. Kutteln. Ahh, und Kümmel, ahh. So viele Ahhs, aber auch so viele Abers, sagte Frau Brücker, das fiel mir damals auf, die waren neu. Schnaps ist Schnaps, und Dienst ist Dienst, sagte ein Regierungsrat am Tisch. Aber wenn man das mehr miteinander verbunden hätte, wärs vielleicht nicht ganz so hart gekommen.
    Gauredner Grün sprang unvermittelt auf und stürzte, die Hand vor dem Mund, hinaus. Dr. Fröhlich hastete würgend hinterher.
     
    Bremer saß in seiner Marineuniform am Küchentisch und wartete. Es sah aus, als wolle er gleich aufstehen und hinausgehen. Wie im Wartesaal saß er da.
    Er stand auf, ging auf sie zu, als käme sie von einer langen Reise zurück, umarmte sie, küßte sie, erst den Hals, das Kinn, die Stelle, die, das wußte er noch nicht, ihr eine Gänsehaut auf der jeweils

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