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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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in Vorbereitung. Der Zeitpunkt wird noch bekanntgegeben, wer sich dann freiwillig meldet, geht straffrei aus. Das war eine Freude, da geriet er richtig aus dem Häuschen, packte sie, Vorsicht, sagte sie, denk an deine Hand, wirbelte sie durch die Küche: tosca!
    Und dann stellte sie auf den Küchentisch, was sie lediglich durch ihre nun fast dreijährigen Organisationserfahrungen hatte auftreiben können, durch Zureden, Drohungen, Versprechungen, von wegen eine Hand wäscht die andere: vier Eier, ein Kilo Kartoffeln, einen Liter Milch, ein Viertelpfund Butter und, das Kostbarste: eine halbe Muskatnuß, die sie gegen 500 Papierservietten, hochbegehrt als weiches Klopapier, eingetauscht hatte. Sie stellte die Kartoffeln auf, holte die Kartoffelpresse, die sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr benutzt hatte, aus dem Schrank. Sie dachte, nach diesem fürchterlichen, ihn demütigenden Kampf könne sie nur so zeigen, wie sehr sie ihn mochte, wie leid ihr alles tat, und sie glaubte, mit diesem, seinem Lieblingsessen könne sie auch diese beginnende Eintrübung bekämpfen, dieses teilnahmslose Insichhineinschaufeln, das sie seit drei, vier Tagen an ihm beobachtet hatte, dieses matte Daliegen und Indieluftgucken, wenn es nicht um die neuesten Panzervorstöße ging.
    Klar doch, sagte Frau Brücker, dem fiel die Decke auf n Kopp. Was konnte er auch tun, Küche putzen, Kreuzworträtsel lösen, aus dem Fenster gucken.
    Aber jetzt war er munter. Eine Generalamnestie. Mann, sagte er, Mann in der Tonne. Endlich. Und an dem Tag wollte sie ihm auch etwas ganz Besonderes kochen, was Kräftiges. Ordentlich Eier. Brauchte er, sagte sie, er war ja auch mächtig rangenommen worden. Sie lachte, ließ den blauen Faden fallen, nahm den grünen vorsichtig über den Finger.
    Wie halten Sie die Fäden auseinander, wollte ich wissen. Reihenfolge. Muß man sich merken. Reine Kopfarbeit. So bleibt man jung im Kopf.
    Bremer deckte, legte Servietten hin, stellte ein Hindenburglicht auf. Er mußte sich setzen. Sie gab ihm zwei Klacks von dem frisch gepreßten Mus – gut gerührt und ohne Klüten – auf den Teller, schob dann vorsichtig die vier gebratenen Eier drauf, träufelte die gebräunte Butter darüber und setzte sich ihm gegenüber. Sie hatte sich nur etwas Kartoffelmus genommen, sagte: ich mach mir nichts aus Eiern, was glatt gelogen war, und sah ihm zu, wie er den ersten Bissen in den Mund schob, Kartoffelmus mit der kostbaren gebräunten Butter, er schmeckte, und ein Nachdenken, etwas Grüblerisches huschte über sein Gesicht. Nanu, dachte sie, hab ich was falsch gemacht? Fehlt Salz? fragte sie. Nein. Fehlt etwas, fragte sie, weil sie sah, er verglich den Geschmack mit dem Erinnerten aus seiner Kindheit.
    Tatsächlich aber versuchte er, überhaupt etwas zu schmecken. Es war der Moment, als er sich selber sicher wurde, daß er den Geschmack verloren hatte. Es war nicht von heute auf morgen gekommen, er brauchte zwei, drei Tage, um es zu bemerken, so lange reichte die Erinnerung an das Geschmeckte. Erst danach verlor sie sich langsam, es konnte aber, wie er sich dann sagte, immer noch eine Täuschung sein. Jetzt aber hatte er das Kartoffelmus mit der gebräunten Butter auf der Zunge, und davon hatte er eine recht genaue Vorstellung, wie es zu schmecken hatte – und er schmeckte nichts, rein gar nichts. Natürlich sagte er nichts, schwärmte von dem Mus, schwärmte von den gebratenen Eiern, auf dessen gelben Dottern sich von der heißen Butter kleine bräunliche Inseln mit einem sie umgebenden weißen Eiweißring gebildet hatten. Nur, und das überraschte Lena, den Muskatgeschmack erwähnte er nicht. Der vor allem mußte ihm doch auffallen. Der mußte für ihn doch ganz und gar ungewöhnlich sein. Wo gab es nach mehr als fünf Kriegsjahren noch Muskatnüsse? Na und, fragte sie, was schmeckst du? Ein Gewürz? Da antwortete er ausweichend: Einfach tosca.
    Es war eine eigentümliche Empfindung auf der Zunge und am Gaumen, etwas Pelziges, Stumpfes, so als sei ihm die Zunge eingeschlafen. Er konnte mit der Zunge tasten, wischte mit der Spitze an den Schneidezähnen entlang, spürte dort, was er immer gespürt hatte, etwas Glattes, etwas Schartiges, nur eben das Schmecken war nichts, ja ein Nichts. Was is, fragte sie.
    Nichts, aber das »Nichts«, so ausgesprochen, mit einem grüblerischen Suchen, nein, Staunen, einem fassungslos Fragenden um den Mund, ließ sie wiederum nachfragen: Schmeckst du es nicht? Immerhin sind das 500 Papierservietten

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