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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Haustür.
    Bremer saß am Tisch und aß die mitgebrachte Graupensuppe, die Lena Brücker mit kleingehacktem Kerbel verfeinert hatte. Er aß aber, als schmecke ihm die Suppe nicht. Er löffelte das in sich hinein, mit einer gleichmäßigen, ja stumpfen Gier, die sie an ihren glatzköpfigen Vater denken ließ. Schmeckt die Suppe nicht? Doch, doch.
    Fehlt dir Salz? Nein, nein, sagte Bremer. Aber dieses doppelte Nein hörte sich so an, als sei es egal, ob etwas mehr oder weniger Salz in der Suppe wäre. Die werden bei Görlitz über die Neiße gehen und dann auf Breslau marschieren.
      
    War ne schöne Zeit, genaugenommen die schönste, sagte sie, legte den blauen Faden des Himmels über den linken Zeigefinger: Wenn nur nicht immer diese dösigen Fragen nach den vorrückenden Truppen gewesen wären. Ich hatte nie was mit dem Krieg am Hut, auch nicht mit dem Militär, mag keine Uniformen, und jetzt saß zu Hause einer, der Schlachten schlug, und ich mußte immer neue Namen nennen, Städte, verstehst du, einfach verrückt, schlimmer noch, ich hatte das Ganze ja mit in Bewegung gesetzt. Die Rückeroberung des Ostens, so n Quatsch.
    Manchmal hab ich überlegt, ob ich das Zeitungspapier nicht einfach früher ankommen lasse, dann is es aus mit dem Krieg, allerdings auch mit Bremer und mir.
    Und haben Sie es verkürzt?
    Nee. Eben nicht.
    War das nicht unfair?
    Weißte, unfair is nur das Alter. Nee. War schön. Basta. So einfach war das. Man liegt zusammen und weiß, wenn der aufsteht und weggeht, dann gibts nur noch die fünfzig-, sechzigjährigen Männer. Und die träumen dann ja auch nur wieder von ner Jüngeren. Das ist doch das Sonderbare, ne lange Zeit ist Alter etwas, was nur für andere gilt. Und dann, eines Tages, irgendwann um die Vierzig, entdeckt man das an sich selbst: haste so n blauen Fleck, fein gesprenkelt, wie ne blaue Feuerwerksrakete, ist dir ne kleine Ader an der Innenseite vom Bein geplatzt. Am Hals, hier unterm Kinn, zwischen den Brüsten haste Falten, nicht viel, n paar, gerade morgens, und man sieht an sich selbst, man wird alt. Aber mit dem Bremer hab ich das vergessen. Ja, sagt sie, war ne rundum schöne Zeit, alles war so n bißchen schräg, aber eben das war auch schön. Bis es zu dieser Rangelei kam.
     
    Genau siebzehn Tage nach der Kapitulation kam sie nach Hause, und er sagte nicht einmal mehr hallo, sondern fragte gleich: Hast du ne Zeitung? Nee.
    Aber wieso. Das gibts doch gar nicht. Muß doch Zeitungen geben. Wenigstens eine Seite.
    Keine Ahnung. Und das rutschte ihr ziemlich patzig raus. Sie war fertig, neun Stunden Arbeit, halbe Stunde hin und halbe Stunde zurück zu Fuß, kein Auto hatte sie mitgenommen. Und dann hatte der neue Pförtner, ein wegen seiner Nazimitgliedschaft entlassener Kriminalkommissar, ihre Einkaufstasche sehen wollen. Darin hatte sie das Kochgeschirr mit der Steckrübensuppe. Nur weil der englische Captain, der zufällig auch die Behörde verließ, sie grüßte, bye bye sagte, war sie durchgekommen. Das war n Schreck in der Abendstunde. Sie hatte noch auf dem Heimweg überlegt, ob sie ihm erzählen sollte, die Amis brauchen das Papier, weil sie tonnenweise Flugblätter über den russischen Stellungen abwerfen. Einfach gegenübergestellt: was am Tag der amerikanische GI und was der russische Soldat zu essen bekommt. Natürlich in kyrillischer Schrift. Aber sie hatte an dem Abend keine Lust, eine Geschichte auszuschmücken, die dann ja auch wasserdicht sein mußte, weil er nachfragen und Details würde wissen wollen. Was für Flugblätter, wieso schicken die Engländer kein Papier? Er wolle endlich wissen, was genau los sei, sie solle ihm für einen Tag ein Radio besorgen. Nur für einen Tag, irgendwo ausleihen, von einer Freundin. Als sie sagte, das ginge nicht – was sollte sie auch sagen –, ranzte er sie an: sie wolle wohl nicht. Was heißt hier: wohl. Du willst nicht. Ich kann nicht. Doch du kannst! Du willst nur nicht! Nein! Doch! Warum nicht? Geht nicht! Willst nicht! Ich sitz hier. Ja, und? Ich glotze auf die Straße. Ich putze. Ich laufe auf Socken rum. Da schrie er schon. Verstehst du, es geht um mein Leben. Ja, O. K., sagte sie. Er stutzte, sah sie entgeistert an, einen Augenblick. Wie kam das Wort in ihren Kopf? Für ihn geht es um Kopf und Kragen, und sie sagt O. K. Er tat ihr plötzlich leid, wie er dastand mit einem hochroten Gesicht, wie ein trotziges Kind. Es ging ja schon nicht mehr um sein Leben, schon seit Tagen nicht mehr. Und weil er ihr leid tat,

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