Die Entdeckung der Currywurst
machte sie genau das Falsche, sie sagte die Wahrheit. Sie sagte: Es ist gar nicht so schlimm, wie du denkst. Da begann er zu brüllen, und desto lauter, je öfter sie Pscht machte. Die Nachbarn. Scheißegal! Was?! Können mich mal. Du läufst rum, aber auf mich warten draußen die Kettenhunde. Unsinn. Du sagst Unsinn? Die stellen mich an die Wand! Und du sagst einfach Unsinn. Du sagst O. K. Er wischte mit dem Arm über den Tisch. Er machte reinen Tisch, wischte den Atlas runter, die Teller, die Tassen, die Messer, Gabeln, auch die Gläser zersplitterten am Boden. Er lief zur Tür, die sie, wie immer, ganz selbstverständlich abgeschlossen hatte, er wollte raus, und da sie den Schlüssel abgezogen hatte – nie zuvor war ihr aufgefallen, daß sie den Schlüssel, als hielte sie ihn gefangen, abzog –, schlug er – außer sich vor Wut – mit der Faust gegen die Türklinke und nochmals und nochmals, mit aller Wucht. Da nahm sie ihn von hinten in die Arme, sie wollte ihn besänftigen, beruhigen, aber er schlug nochmals zu, und so versuchte sie, ihn festzuhalten, da schlug er nach hinten, nach ihr, und so preßte sie ihm um so fester die Arme an den Leib, so daß sie plötzlich dastanden und miteinander rangen, sie hielt ihn von hinten umklammert, er versuchte sich zu befreien, die Arme freizubekommen, beide wankten, stöhnten, ächzten, aber ohne ein Wort zu sagen, in äußerster Anspannung ihrer Kräfte, er versuchte, den rechten Arm aus ihrem Griff herauszudrehen, vergeblich, sie, die als Mädchen schon einen Ewer mit einem Peekhaken bewegen konnte, preßte ihm die Arme an den Leib, preßte mit aller Kraft, er ließ sich auf den Boden fallen, riß sie, die nicht losließ, mit, wälzte sich auf den Rücken, auf die Seite, wollte sie wegdrücken, kam mit Schwung auf dem Bauch zu liegen, das Gesicht schrammte über den kratzigen Kokosläufer, weil er den Kopf herum- und hochriß, da spürte sie, wie der Druck seiner Arme nachließ, dieses ruckartige Zerren, er ließ den Kopf auf den Boden fallen, als wolle er schlafen, da ließ sie ihn los, und aus seinem Mund kam ein Aufseufzen, ein langsam leiser werdendes Keuchen. Er murmelte eine Entschuldigung. Er setzte sich auf, sie zog ihn an der linken Hand hoch, seine rechte blutete, die Knöchel, die Haut war aufgeplatzt und abgeschürft. Erst jetzt spürte er den Schmerz, einen irrsinnigen Schmerz. Er hielt die Hand unter das fließende kalte Wasser, damit sie nicht weiter anschwoll. Beweg mal die Finger. Er bewegte die Finger, es tat weh, aber er konnte sie bewegen. Dann ist nichts gebrochen, sagte sie.
Einen Moment kämpfte sie mit sich, ob sie gestehen solle, sie habe ihm etwas verschwiegen, nein, habe ihn belogen, aber jetzt konnte sie es nicht mehr sagen, jetzt war es zu spät. Es war ein Spiel gewesen. Jetzt war daraus Ernst geworden, blutiger Ernst. Das alles müßte ihm jetzt wie eine hundsgemeine Lüge erscheinen, als habe sie ihn hintergehen, wie ein Haustier halten, sich über ihn lustig machen wollen und ihn schließlich dahin getrieben, außer sich zu geraten. Und hatte sie das nicht auch? Wenn sie sich wenigstens von ihm hätte den Arm umdrehen oder schlagen lassen, daran hatte sie gar nicht gedacht, sondern sie hatte ihn eisern festgehalten, all ihre Kraft eingesetzt, genaugenommen sich gewehrt. Wenn sie jetzt mit einem geschwollenen Auge ihm gegenübersitzen würde, mit blauen Flecken am Oberarm, das hätte alles erleichtert, sie hätte sagen können, ich wollte dich einfach länger hierbehalten. So aber saß er da, mit seiner verbundenen rechten Hand, und entschuldigte sich dafür, daß er durchgedreht sei.
Sie lagen auf den Matratzen in der Küche. Halt die Hand ruhig, sagte sie. Sie streichelte ihn. Er hatte zugenommen. Es war ihr bewußt geworden, als sie mit ihm gerungen hatte. Das Wort massig fiel ihr ein. Er lag da, angespannt, sie spürte diese Anspannung unter seiner Haut, eine wachsame Anspannung. Sein Glied war klein, lag ihr warm in der Hand. Er entspannte sich erst, als sie die Hand ruhig auf seinem Geschlecht liegenließ. Es war, seit er bei ihr untergekrochen war, das erste Mal, daß sie nicht miteinander schliefen. Draußen schrien die Vögel. Sie schlief nicht, er schlief nicht, beide taten aber, als schliefen sie.
Am nächsten Tag hatte sie aus alten Wehrmachtsbeständen eine Wundsalbe für ihn besorgt. Die Hand trug er in einer Schlinge. Und sie hatte noch eine Salbe von ganz anderer Art, sie sagte, eine Amnestie für Deserteure sei
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