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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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gewesen.
    Er schüttelte den Kopf. Ich schmecke nichts.
    Gar nichts?
    Nein. Seit drei Tagen oder vier. Nichts mehr. Er starrte auf den Teller, den er zügig leergegessen hatte, saß da wie ein Häufchen Elend.
    Sie lagen auf der Matratzeninsel nebeneinander. Sie streichelte ihm den Bauchnabel, pulte ihm ein paar Flusen heraus, die sich darin von der Wäsche angesammelt hatten. Die Hand, sagte er, tut verdammt weh. Ich kann mich nicht aufstützen. Ach, dachte sie, wie viele Möglichkeiten hatten sie erprobt, ohne daß er die Hände aufstützen mußte, aber sie sagte: Schon gut. Ist ja schön, einfach so zusammen dazuliegen.
    Was kann man tun, fragte sie Holzinger, wenn jemand plötzlich nicht mehr richtig schmecken kann.
    Holzinger sagte: Kommt immer wieder mal vor, eine Art Verstopfung der Geschmacksknospen. Die müssen sich wieder öffnen. Wer ist es denn, fragte er, mit lurigem Blick. Der dachte natürlich gleich an einen der leitenden Herren, die er beköstigte. Das war die höchste Kochkunst, Widerlingen und Kotzbrocken den Geschmack amputieren zu können.
    Ein Bekannter.
    Leidet er unter Appetitlosigkeit?
    Nein, gar nicht.
    Das ist dann eine verfressene Geschmacklosigkeit.
    Hör mal, fuhr Lena Brücker auf, fing sich dann aber wieder, bog die bissige Lautstärke in eine dringlich besorgte Frage um. Wie kommt das?
    Innere Schieflage, sagte Holzinger, der, wenngleich Wiener, nie Freud gelesen hatte. Eine Schwerblütigkeit, die vom Herzen kommt.
    Und was ist dagegen zu tun?
    Basilikum. Haben wir nicht. Noch besser Ingwer, ein Gewürz gegen die Schwermut. Haben wir erst recht nicht. Oder Koriander.
    Ah, die Currywurst, fragte ich, nicht?
    Frau Brücker hörte auf zu stricken, sah mich an und sagte ziemlich scharf: Wenn du es weißt, na dann erzähl mal.
    Captain Friedländer, sagte ich.
    Was is mit dem?
    Sie haben Captain Friedländer nach dem Curry gefragt.
    Nee, so einfach gehts nur in Romanen zu. War das so gewesen, wie du denkst, hättest du nie ne Currywurst essen können. Hätte Friedländer Curry gehabt, hätt ich allenfalls Curryreis gemacht. Aber nie und nimmer ne Wurst. Würste gabs nämlich gar nicht. Außerdem, Curry hatten die Engländer damals auch nicht. Nachschub lief ja erst langsam an. Und Friedländer sagte: Curry ist ein gräßliches Zeug. So ne Art indischer Maggi; Königsberger Klopse, die mochte der.
    Siehste, sagte sie, zählte die Maschen. Ich wartete. Warste auf ner ganz falschen Fährte. Mußt schon noch n büschen Geduld haben.
     
    Bremer hatte jede Menge Zeit. Der hatte sich einen Stuhl ans Fenster gestellt, ein dickes Kissen draufgelegt, damit er etwas höher saß, aber doch halb verdeckt von dem Store. Auf die Fensterbank hatte er sich ein Salzfäßchen gestellt, tippte mit dem Finger hinein und leckte daran. Er schmeckte nichts. Er roch nichts. Lediglich die Speicheldrüsen wurden angeregt. Unten humpelte ein Kriegsversehrter an zwei Krücken vorbei. Wie kommt es, dachte er, daß man den Geschmack wie ein Bein verlieren kann. Er versuchte sich damit zu trösten, daß der Geschmack zurückkommen würde, so wie er als Junge, als er Würmer hatte, nichts mehr riechen konnte, dann aber, nach der Wurmkur, kam der Geruchssinn zurück. Vom Himmel war das schnelle Sirren eines Jagdflugzeugs zu hören. Vielleicht werden sie jetzt die Wunderwaffe gegen den Russen einsetzen. Vielleicht das Roboterflugzeug. Er hatte nie daran geglaubt, bis er dann einmal die Me 163 gesehen hatte, das fliegende Ei, das erste Raketenflugzeug der Welt, eine kleine rundliche Maschine, mit kleinen Stummelflügeln, die mit einem Raketenstrahl hinauf und durch einen Bomberpulk geflogen war und, von oben herunterstürzend, ein, zwei, ja drei dieser Fliegenden Festungen abgeschossen hatte, dann segelte es im Gleitflug zu Boden, setzte hart auf und explodierte. Wenn man das Explodieren am Schluß verhindern könnte, ist das die Wunderwaffe, hatte er damals gedacht. Er tupfte etwas Salz auf die Fingerkuppe. Er hoffte einfach darauf, daß sich der Geschmack, ebenso plötzlich, wie er verschwunden war, auch wieder einstellen würde. Er leckte. Nichts. Vielleicht ist das, dachte er, der Preis dafür, daß ich geflohen bin, daß ich desertiert bin, daß ich feige war, nein bin. Sonderbarerweise begann er erst jetzt, sich mit seiner Fahnenflucht zu beschäftigen, erst als er nichts mehr schmeckte. Vielleicht verliert man tatsächlich etwas für immer, wenn man sich ergibt oder wenn man flieht, andere im Stich läßt, vielleicht

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