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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Wirbelsäule, hinunter bis zum Becken. Wo er das gelernt habe, diese zarten und doch festen Griffe? Pferdepflege. Sein Vater war doch Tierarzt. Sie lachte, daß sie einen Schluckauf bekam. Also mußte sie die Luft anhalten und bis 21 zählen, während er mit Zeige- und Mittelfingerknöcheln die Wirbelsäule hinunterwanderte, links, rechts, immer in die Wirbelkuhlen knubbelte, zart, aber doch fest, bis zu den Hüften, dort übersprang zu den beiden Hüftgrübchen, darin mit den Daumen drückend kreiste, bis sich ihr wohlig die Nackenhaare aufstellten, bis sie abermals einen Schluckauf bekam. Dann hilft nur eins, sagte er, du mußt einen Katzbuckel machen und jetzt das Kreuz durchdrücken, den Kopf nach unten, die Beine etwas spreizen, locker, ganz locker und den Hintern hoch, noch höher, so ists gut. Und jetzt tief durchatmen. Locker! Ausatmen! So ists gut. Huchhh.
    Tatsache, das hilft, sagte Frau Brücker, grinste und knackte mit dem Gebiß.
     
    Am nächsten Montag, abends, sagte Bremer zu Lena Brücker: Die Leute auf der Straße gehen schneller. Schneller? Ja, etwas, ein wenig nur, aber sie gehen schneller. Sonderbar.
    Nein, ganz einfach, sagte sie, es geht wieder voran. Die Leute haben ein Ziel.
    Und noch etwas war ihm aufgefallen, ein paar Frauen und Männer standen auf der Straße, vereinzelt, und sprachen die Vorbeigehenden an, wie es Nutten oder Strichjungen tun, nur daß es meist alte Männer und irgendwelche schäbig gekleideten Hausfrauen waren. Am darauffolgenden Tag sah er einen Beinamputierten an der Ecke zum Großen Trampgang stehen, den rechten Beinstummel auf die Handstütze der Krücke gestützt, bekleidet mit einer gräßlich ins Grünbraun umgefärbten Uniform, die nun wie eine fehlfarbene Forstuniform aussah. Vielleicht war der Mann ja tatsächlich in die Forstverwaltung übernommen worden. Innendienst. Hin und wieder hob er die Hand und zeigte drei Finger, als wolle er knobeln oder zeigen, was ihm fehle. Ihm fehlte aber ein Bein. Wollte er damit die Zahl seiner Verwundungen andeuten? Bremer holte sich das Fernglas des Barkassenführers und sah hinunter. Kein Zweifel, der Mann sprach die Vorbeigehenden an. Aber die gingen nicht nur vorbei, die eilten vorbei. Und dann – es muß der übernächste Tag gewesen sein – entdeckte Bremer einen Mann, der, obwohl die Sonne warm, ja sogar heiß schien, einen massigen Wintermantel trug. Der Mann stand in dem überweiten dunkelbraunen Wintermantel da und öffnete ihn für die Vorbeigehenden, kurz nur, wie ein Exhibitionist. Bremer dachte an die französischen Nutten in Brest, 1941, die für ihn, es war Winter, kurz, wie einen Vorhang, ihre Pelzmäntel öffneten, um die rotgerüschten Strapse, die Seidenstrümpfe, die schwarzen oder roten Büstenheber zu zeigen. Bremer starrte durch den Feldstecher hinunter, auf den Rücken des Mannes, der eine Halbglatze hatte und sich eben, den Mantel öffnend, einer Frau zuwandte, die hinsah, ihn sogar etwas fragte, dann den Kopf schüttelte und weiterging. Endlich drehte sich der Mann um, öffnete wieder den Mantel, Bremer erschrak, er sah nacktes rosiges Fleisch und mehrere Zitzen. Der Mann trug eine Schweinehälfte auf den Leib gebunden. Schwarzmarkt, schoß es Bremer durch den Kopf, und plötzlich verstand er auch die Fingerbewegung des Amputierten. Da wurde nicht geknobelt, da wurde nicht die Zahl der Verwundungen angegeben, da wurde getauscht, da wurde die Zahl der Zigaretten angezeigt, gegen die andere Waren getauscht werden sollten.
    Abends empfing er Lena Brücker: Da hat sich vor dem Haus ein Schwarzmarkt gebildet. Und während sie die Holzingersche Graupensuppe aufwärmte, erregte sich Bremer darüber, wie Ordnung und Disziplin da draußen verfielen. Was ist denn daran so schlimm, fragte Lena vom Herd her, ist doch in all den Kriegsjahren unter der Hand gehandelt worden. Es gab doch immer Schwarzmarkt. Aber nicht so offen, so dreist unter freiem Himmel. Da unten steht ein Beinamputierter und bietet sein silbernes Verwundetenabzeichen an.
    Für Bremer stand die deutsche Wehrmacht, die nun schon vor acht Tagen bedingungslos kapituliert hatte, gemeinsam mit den amerikanischen und britischen Verbündeten vor Berlin. Der rechte, von den Amerikanern verstärkte Flügel hatte unter General Hoth gerade Görlitz, also die Neiße, erreicht. Donnerwetter, sagte Bremer, das geht ja rasant. Der Russe ist ausgeblutet, einfach am Ende, sagte er, aber das alles entschuldigt nicht den Schwarzmarkt unten vor der

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