Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
gesamtes Universum existiert aber nur deshalb, weil Protonen stabil sind.
Für alle Gefahren, die mit der Teilchenenergie in Zusammenhang stehen, gibt es ein großes Gegenbeispiel. Die Erde wird seit ihrer Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren ununterbrochen mit kosmischen Teilchen beschossen. Deren Energien liegen um ein Vielfaches über denen, die am LHC erreicht werden. Das bedeutet, dass alles, was vielleicht am LHC produziert werden könnte, mit Sicherheit schon mehr als einmal auf natürliche Weise entstanden ist. Wenn auch nur ein Teilchen davon irgendwie die Erde zerstören könnte, dann wäre das schon längst passiert.
Bleiben noch die radioaktive Strahlung und die Antimaterie als potenzielle Gefahrenquellen. Zunächst zur Radioaktivität: Sie entsteht im LHC-Tunnel, und der liegt 100 Meter unter der Erde. Das ist so tief, dass an der Oberfläche während des Betriebs keine Strahlung gemessen werden kann. Aber es gibt ja noch die Luft im Tunnel. Sie muss regelmäßig ausgetauscht werden, weil man sonst dort unten ersticken würde. Durch ein Filtersystem kann die Belastung für Anwohner selbst bei ungünstigsten Bedingungen bei unter 10 Mikrosievert (μSv) pro Jahr gehalten werden. Zum Vergleich: Auf einem Flug von Europa nach Los Angeles und wieder zurück ist man einer Belastung von etwa 100 μSv ausgesetzt. Die Belastung, die auf natürliche Radioaktivität zurückzuführen ist, liegt in der Schweiz bei etwa 2400 μSv pro Jahr.
Und die Antimaterie? Hier ist die Gefahr, die von ihr ausgeht, auch zugleich das Problem bei der Herstellung. Um ein Gramm Antimaterie zu erzeugen, muss eine riesige Menge Energie investiert werden, wie wir dank Einstein wissen. Denn auf der Erde kann man Antimaterie nur aus reiner Energie erzeugen, wobei dann auch gleichzeitig Materie entsteht. Man muss also den Vorgang der Explosion umkehren und die gigantische Menge Energie hineinstecken, die sonst frei werden würde. Die größte Menge Antimaterie, die für ei nige Minuten stabil gehalten werden konnte, umfasste 309 Atomkerne. Das sind 10 –22 Gramm. So viel Antimaterie zu erzeugen, dass sie gefährlich werden könnte, würde Zehntausende von Jahren dauern. Also kein Grund zur Beunruhigung.
ATLAS und CMS – zwei Weltmaschinen auf der Suche nach Higgs
Florian Schlagintweit und Florian Zeller
Wie soll das eigentlich möglich sein? Wie kann man ein Teilchen finden, das so klein ist, dass man es sich nicht einmal mehr vorstellen kann, geschweige denn eine Maschine bauen, die das können soll? Aber es ist möglich! Wir stellen hier zwei Maschinen vor, die das Unbegreifbare greifbar gemacht haben.
Dass in kreisförmigen Teilchenbeschleunigern Partikel aufeinandergeschossen werden, um außergewöhnliche physikalische Zustände zu erreichen, wurde bereits an früherer Stelle erwähnt. Wie diese Vorgänge initiiert werden beziehungsweise welche Prinzipien dabei zum Tragen kommen, soll im Folgenden veranschaulicht werden.
Für Experimente in einem Ringbeschleuniger dieser Größe eignen sich Protonen besser als die leichteren Elektronen oder Positronen, die in früheren Beschleunigern verwendet wurden. Beim Durchlaufen der kreisförmigen Bahn am LHC verlieren Teilchen nämlich Energie in Form von Bremsstrahlung (Synchrotronstrahlung). Denn geladene Teilchen strahlen bei Beschleunigung (Änderung der Geschwindigkeit oder Bewegungsrichtung) elektromagnetische Strahlung in Form von Photonen ab. Je leichter ein Teilchen ist, desto höher sein Energieverlust. Ein Elektron ist 2000 Mal leichter als ein Proton. Der Energieverlust eines hochenergetischen Teilchens, das die Energie E und die Ruhemasse m in einem Beschleunigerring mit dem Radius r hat, ist proportional zu (E/m) 4 · 1 ∕ r . Somit ist der Energieverlust von Elektronen bei gleicher Energie und gleichem Radius um den Faktor 2000 4 = 10 13 (16000 Milliarden) Mal größer als bei Protonen. Dieser Faktor würde zehnmal dem Abstand der Erde zur Sonne in Metern entsprechen.
Zu Beginn einer Messung werden Protonen zu zwei Bündeln komprimiert, die dann einige Stunden im Beschleuniger einander entgegengesetzt mit 11245 Umrundungen pro Sekunde kreisen, bis sie an einem der vier festen Kollisionspunkte zur Kollision gebracht werden. Doch die schönsten Teilchenkollisionen helfen nichts, wenn man die dabei entstehenden Partikel nicht nachweisen kann. Dies liegt daran, dass diese sehr schnell zerfallen. Zerfallen sie, so schleudern die Teilchen, ähnlich einer Silvesterrakete, eine
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